Geschichte des Films
7. Dezember 2009Nach 110 der insgesamt 264 Minuten der "Geschichte(n) des Kinos" sagt Godard einen Satz, den man als ironisch gebrochenen Kommentar zum eigenen Werk interpretieren könnte: "Warum einfach, wenn es kompliziert geht". Jean-Luc Godard wollte es noch nie einfach. Vielleicht bei seinem ersten Film, dem bahnbrechenden Nouvelle Vague-Werk "Außer Atem" im Jahre 1960. Doch schon ganz schnell danach begann Godard zu grübeln, übers Kino, das Medium Film, über den Zusammenhang zwischen Kino, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Seine Filme wurden immer philosophischer und komplexer. Vom klassischen narrativen Spielfilm verabschiedete sich Godard früh. Er wurde - auch als Person - zum großen Außenseiter des europäischen Kinos. In den letzten Jahrzehnten wurde das Nachdenken über das Kino zu seinem Hauptanliegen. Das Ergebnis, Godards Alterswerk "Geschichte(n) des Kinos", liegt jetzt in Deutschland erstmals auf DVD vor.
Filmgeschichte als Assoziationsteppich
Natürlich ist es keine klassische, chronologisch strukturierte Geschichte des Films, die der Franzose seit Mitte der 1980er Jahre in einzelnen Teilen vorgelegt hat und deren jeweils neuesten Episoden bei internationalen Festivals zur Uraufführung kamen. Zusammengefügt ergeben sie einen unglaublich reichhaltigen, aber auch höchst komplizierten Überblick über 100 Jahre Film. Wobei schon diese Zahl nach Meinung Godards nicht zutrifft. Das Kino sei eigentlich ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, sagt er einmal und gräbt nicht die Brüder Lumière als Erfinder des Films aus, sondern einen in Russland gefangenen französischen Soldaten.
Es sind diese vielen wahren, erfundenen oder auch zwischen Realität und Fiktion wechselnden Geschichten, die das monumentale Werk Godards auszeichnen. Unterteilt in vier Doppelkapitel nähert sich der Regisseur dem Kino von verschiedenen Seiten, mal von Hollywood, mal von Europa aus, mal steht der lateinamerikanische Film im Fokus. Immer wieder nutzt Godard ganz unterschiedliche Zugänge zu seiner ganz persönlichen, höchst subjektiven "Histoire(s) du cinéma". Die Kunstgeschichte spielt dabei eine mindestens ebenso wichtige Rolle in seinen Erzählungen über das Kino wie die Literatur, die Musik, wie Politik und Gesellschaft.
Ablehnung des narrativen Kinos
Godards Kosmos speist sich aus allen Künsten und gesellschaftlichen Phänomenen, da gleicht er seinem deutschen Bruder im Geiste Alexander Kluge. Und das nicht nur inhaltlich, auch formal sind die Geschichten des Kinos ungeheuer vielschichtig angelegt. Laufende Bilder, Fotos, Texteinschübe, Monologe, Dialoge, Kommentare - all das wird zu einem großen vielfach ineinander- und übereinandergeschichteten Kunstwerk, vor dem jeder Betrachter zunächst einmal ratlos stehen dürfte.
Godard schert sich nicht um Verständlichkeit im herkömmlichen Sinne. Chronologisches Erzählen verabscheut dieser Dauerrevolutionär des Kinos ebenso wie ganze, zusammenhängende Textpassagen oder konventionelle Bilderstrecken. Eine Geschichte des Kinos sollte man eigentlich nur im Kino erzählen, so dass Credo des Regisseurs, mit Bildern und nicht mit Kommentaren. Doch eine einzige Geschichte im Sinne eines historischen Überblicks ist nicht das, was Godard anstrebt. Es ist ein riesiger Flickenteppich aus Assoziationen und Gedankenfetzen, aus Erinnerung und Einsicht, aus erzählten und gezeigten Kinobildern.
Hassliebe zu Hollywood
Ein paar Konstanten sind jedoch dabei, schälen sich in den viereinhalb Stunden der "Histoire(s)" raus. Neben der Ablehnung chronologischen Erzählens fällt dabei vor allem die innig gepflegte Hassliebe zum Hollywood-Kino ins Auge. Am amerikanischen Studiokino arbeitet sich der Franzose stetig ab, Ekel und Bewunderung halten sich die Waage. So fasziniert er von Meistern wie Alfred Hitchcock auch ist, die Bildermanipulationen des US-Kinos stoßen Godard ab. Ein zweites Feindobjekt ist für ihn das Fernsehen, dass - so Godard - einen weiteren Nagel in den Sarg mit dem Leichnam Kino getrieben hat. Aber auch das Kino sei keine Kunst, nicht einmal eine Technik, wiederholt der Regisseur immer wieder gebetsmühlenartig und man meint dahinter die ganze Verzweiflung eines Mannes zu spüren, der das Kino einst mit Truffaut, Rivette und Chabrol heiß und innig geliebt haben muss.
"Ästhetik der Überforderung"
Doch irgendwann in den 1960er Jahren hat dieser wütende junge Mann wohl die Lust verloren sich verführen zu lassen, zumindest gibt er das vor. Godard ist eigentlich immer schon mehr Philosoph, Essayist und Autor gewesen, der mehr oder weniger zufällig eine Kamera in die Hand bekommen hat und plötzlich gespürt haben muss, dass er mit diesem Ding eine ungeheure Macht ausüben konnte. Eine Macht, die er zeit seines Lebens verabscheut haben muß, weil er sie früh durchschaut und danach immer abgelehnt hat.
Im Artikel, den Klaus Theweleit zum Booklet der DVD-Ausgabe der "Histoire(s) du cinéma" beigesteuert hat, ist sehr treffend von einer Godardschen "Ästhetik der Überforderung", die der Franzose pflege, die Rede. Das kann man nun als grandiose philosophische Leistung interpretieren oder aber auch als doch sehr subjektivistische Assoziationshuberei ablehnen. Jean-Luc Godard wird auch mit diesem "Alters"-Werk seine Jünger begeistern, andere eher abschrecken. Tragisch ist auf jeden Fall, dass man seines "Histoire(s)" eigentlich nur in dem Medium sehen kann, das der Meister doch so sehr hasst: auf DVD, also auf dem kleinen Fernsehbildschirm.
Jean-Luc Godard: Histoire(s) du cinéma, 2 CD, 264 Minuten, Suhrkamp Verlag/absolut medien
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Petra Lambeck