Nigerianer kehren zurück aus Libyen
21. Februar 2017Ihre Gesichter sehen müde aus, aber viele der Rückkehrer wirken auch erleichtert. 162 Nigerianer steigen an einem heißen Nachmittag aus der Chartermaschine aus Libyen in Lagos. Sie sind zurück in ihrer Heimat Nigeria. Das Land, das sie eigentlich um jeden Preis hinter sich lassen wollten, um in Europa ein neues Leben zu beginnen. Ein junger Mann bekreuzigt sich beim Aussteigen und lächelt. Auch sieben Kinder und zwei Babys sind an Bord.
"Ich bin einfach nur froh, dass ich mit meinem Baby wieder zu Hause bin", sagt Sonia mit ihrer Tochter auf dem Rücken und kämpft mit den Tränen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat sie sich auf den Weg nach Italien gemacht. Dort, so hatte sie gehört, gebe es Jobs für junge Nigerianerinnen: als Babysitter oder Verkäuferin. Ihr Vater starb, als Sonia sechs Monate alt war. Sie wollte ihre Mutter entlasten, ihr finanziell helfen. Also kratzte die Familie fast 2000 Euro für ihre Reise nach Europa zusammen.
Doch aus dem Traum wurde schnell ein Albtraum. Die 25-Jährige erinnert sich noch genau an den 19. März, als sie in Libyen schwanger in ein heruntergekommenes Boot nach Europa stieg. Insgesamt fünf Boote mit jeweils mehr als 100 Passagieren zählte sie an diesem Tag. Ein Sturm kam auf. Zwei der Boote kenterten auf See, auch auf ihrem Boot ging die Hälfte der Passagiere über Bord. Sonia verlor eine gute Freundin.
"Sie haben uns behandelt wie Tiere"
Doch ihr Albtraum war da noch nicht vorbei. Die libysche Küstenwache brachte ihr Boot zurück und sperrte sie elf Monate ins Gefängnis, wo sie ihre Tochter zur Welt brachte. "Sie haben uns wie Tiere behandelt", erinnert sich Sonia. "Sie haben mich dahin gebracht, wo sie den Müll verbrennen - dort lag ich für über zwei Stunden in den Wehen."
Eine Mitgefangene, die gerade ihren Müll entsorgte, fand die damals Hochschwangere, erzählt Sonia. Sie habe ihr das Leben gerettet, so die junge Mutter. "Aber nur zwei Wochen nach der Geburt meines Babys haben sie mich wieder verprügelt. Nur weil ich Nigerianerin bin und keine Libyerin. Die machen mit Nigerianern was sie wollen."
DW-Recherchen bestätigen die unmenschlichen Bedingungen in libyschen Auffanglagern.
Als sie dann von der Möglichkeit hörte, wieder zurück nach Nigeria zu fliegen, zögerte Sonia nicht lange.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) organisiert die Charterflüge, in diesem Fall finanziert von der britischen Regierung. Letztes Jahr wurden 800 Nigerianer mit fünf Flügen zurück nach Lagos gebracht. Auch die EU beteiligte sich an der Finanzierung.
"Die meisten von ihnen kehren aus zwei Gründen zurück", erklärt Nahashon Thuo, IOM-Bürochef in Lagos. "Einigen ist es zu gefährlich, übers Mittelmeer zu fahren. Andere sitzen in Gefangenenlagern fest, also ist die Weiterreise aktuell keine Option für sie." Alle Passagiere gelten trotzdem als freiwillige Rückkehrer, da sie nicht aus Libyen abgeschoben wurden.
Stipendien für Rückkehrer
20 Prozent der Rückkehrer - Mütter mit Kleinkindern, unbegleitete Minderjährige und Kranke - erhalten von der IOM ein Stipendium von umgerechnet 1000 US-Dollar. Das Geld soll ihnen bei der Reintegration helfen: medizinische Kosten oder Ausgaben für Bildung decken oder als ein Kredit für ein Geschäft dienen. Alle Rückkehrer erhalten außerdem 50 US-Dollar, um von der Wirtschaftsmetropole Lagos weiter in ihre Heimat reisen zu können.
Für den Großteil ist das eine Reise in Nigerias Süden. Nicht ein einziger Passagier an Bord der Maschine kommt aus dem Norden und war auf der Flucht vor der Terrororganisation Boko Haram. Viele kommen aus dem Bundesstaat Edo - so auch Sonia.
"Wir sind froh, dass ihr wieder zu Hause seid", sagt Shegun Alabi nach der Ankunft in Lagos zu den Rückkehrern. Er ist ein Vertreter der Edo-Regierung und versucht, Hoffnung zu verbreiten. Die Regierung implementiere gerade viele Projekte, die Arbeitsplätze schaffen werden, sagt er.
Dutzende Rückkehrer lauschen ihm gebannt - aber er wird nicht konkreter. Jeder hier weiß, dass Nigeria in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt und von einem Aufschwung in Edo keine Rede sein kann. "Und ich bin sicher, dass einige auch mit etwas Geld zurückgekommen sind, um ein Geschäft hier zu starten", sagt Alabi. Kollektives Kopfschütteln. "Überhaupt nicht", antworten alle im Chor.
"Wir haben es satt sie sterben zu sehen wie Hunde"
Doch warum kommen noch immer so viele Migranten aus diesem kleinen Bundesstaat im Süden des Landes? Auf den Straßenstrichen Italiens beispielsweise kommt die Mehrheit der Nigerianerinnen aus Edo.
"Das kann ich so genau auch nicht sagen", sagt Alabi. "Aber unsere Leute sind dynamisch und lieben es zu reisen, die Welt zu entdecken." Trotz aller Risiken und unzähligen Toten auf dem Weg? "Stimmt, deshalb hat die Regierung vor kurzem eingesehen, dass diese Reisen auf der Suche nach grünerem Grass nicht mehr erfreulich und profitabel sind. Wir haben es satt sie sterben zu sehen wie Hunde." Die Regierung versuche deshalb mit Aufklärungskampagnen junge Menschen von der Reise abzuhalten.
Und trotzdem machen sich jeden Tag weiter Nigerianer auf den Weg. 2016 hat die europäische Grenzschutzbehörde Frontex fast 40.000 Nigerianer registriert, die illegal in die EU eingereist sind. Fast alle übers Mittelmeer, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Nach Syrern und Afghanen kommen somit die meisten Migranten ohne gültige Papiere aus Nigeria nach Europa. 6446 Nigerianern wurde in der EU 2016 das Bleiberecht aberkannt, 1561 wurden zwangsabgeschoben.
Sonia weiß noch nicht, wie es jetzt für sie weitergehen soll. Sie hat sich für die Reise stark verschuldet und muss jetzt irgendwie Geld verdienen, um sich und ihre Tochter über die Runden zu bringen. Einen kleinen Laden würde sie gern aufmachen, sie habe mal eine Weile Wirtschaft studiert. Aber nochmal im Ausland nach einer besseren Zukunft suchen, dass komme für sie nicht in Frage. "Wir waren dort mehr als 20 schwangere Frauen, viele haben ihr Kind bei der Geburt verloren", sagt Sonia, bevor sie weiter mit dem Bus nach Benin City fährt. "Aber nur einige konnten zurück, viele sind noch dort. Ich bete dafür, dass sie auch zurückkommen können."