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Rohr: "Nigeria braucht keinen Mo Salah"

Philipp Barth
1. Juni 2018

Nigerias Nationalteam hat im Vorfeld der WM mit guten Leistungen beeindruckt. "Super Eagles"-Trainer Gernot Rohr erklärt der DW, wie wichtig Disziplin ist und warum er keinen Superstar in seinem Team braucht.

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Gernot Rohr
Bild: picture-alliance/ZUMA Press/K. Galvin

DW: Herr Rohr, Nigeria hat seine Qualifikationsspiele dominiert und im vergangen November sogar ein Freundschaftsspiel gegen den zweimaligen Weltmeister Argentinien nach 0:2-Rückstand noch mit 4:2 gewonnen. Werden wir bei der WM eine ähnlich starke nigerianische Mannschaft sehen?

Gernot Rohr: Wenn in einem Freundschaftsspiel alles gelingt, fängt man an zu glauben, dass man gleiches auch in einem Wettbewerb wiederholen kann. Wir sind zuversichtlich, aber wir bleiben auf dem Boden und sagen allen in Nigeria: Vergesst nicht, dass wir die jüngste Mannschaft im Wettbewerb sind.

Wie ist die Atmosphäre in Nigeria im Moment?

Alle sind glücklich. Als wir uns im Oktober in Sambia qualifiziert haben, gab es eine riesige Feier im ganzen Land. Die Freude war so groß, dass wir das Stadion für ein paar Stunden nicht verlassen konnten, weil die Leute gemeinsam mit uns feiern wollten. Es war wundervoll, das zu sehen.

Sind diese starken Emotionen eine Motivation oder eher eine Last vor der WM?

nigerianische Fußballfans feiern auf der Tribüne
Nigerias Fans freuen sich auf die WMBild: picture-alliance/Sven Simon/F. Waelischmiller

Die Spieler, die in England, Deutschland oder in anderen europäischen Ländern spielen, haben einen ständigen Druck. Er ist sicherlich größer, wenn sie für Nigeria zu spielen, weil es 200 Millionen Menschen gibt, die wollen, dass das Nationalteam gewinnt. Aber ich denke, wir haben in der Qualifikation gezeigt, dass wir in wichtigen Spielen mit dem Druck umgehen können. Jetzt spielen wir im ersten Gruppenspiel gegen Kroatien, und sie werden als Favorit den Druck haben. Wir sind die Außenseiter.

Sie haben gesagt, dass die "Super Eagles" Disziplin brauchen, um die Gruppenphase zu überstehen. Sind Sie deswegen als Nationaltrainer verpflichtet worden?

Der afrikanische Stil des Fußballs ist Improvisation und Kreativität, beinhaltet aber manchmal aber auch das Vergessen von Disziplin und defensiver Organisation. Ich bin Deutscher und Franzose, daher denke ich, dass Disziplin ein Teil meiner Mentalität ist, und ich kann versuchen, dies vor allem den jungen Spielern beizubringen: pünktlich zu sein und nicht zu spät ins Bett zu gehen. Einfache Dinge.

Wir haben Glück, dass die Hälfte der Mannschaft in Europa aufgewachsen ist, also haben sie bereits eine Ausbildung erhalten, wenn es darum geht, Standardsituationen zu verteidigen. Sie haben aber auch taktische Disziplin gelernt und wie man für das Team statt nur für sich selbst spielt.

Otto Pfister, der ehemalige Trainer von Kamerun, Togo und der Elfenbeinküste, sagte der DW, dass die Super Eagles "zu heißblütig" seien, um bei der WM weit zu kommen.

Was heißt heißblütig? Wir haben Spieler, die aus verschiedenen Ländern zu uns kommen. Aus der Türkei, aus Italien, aus Spanien, aus England, aus Deutschland und aus Nigeria. Sie  bringen sehr unterschiedliche Mentalitäten mit. Wir haben nichts zu verlieren. Wenn wir in der Gruppenphase ausscheiden sollten, liegt es mit Sicherheit nicht daran, dass wir zu heißblütig sind, sondern daran, dass die anderen Mannschaften einen besseren Fußball spielen. Für mich macht es keinen Sinn, nach anderen Gründen zu suchen.

Sie sagen, dass es in Ihrem Kader keine Superstars gibt. Was würden Sie dafür geben, einen nigerianischen Mohamed Salah zu haben?

Ich denke, es ist fantastisch, dass Ägypten einen solchen Spieler hat, genauso wie Argentinien Lionel Messi hat oder Kroatien Luka Modric. Aber wir besitzen stattdessen einen guten Teamgeist. Es zählt nicht die individuelle Qualität, auch wenn diese Qualität groß ist, sondern der beste Teamgeist. Das ist wichtiger als ein Mohamed Salah.

Mehr als 90 Prozent Ihrer Spieler spielen außerhalb Nigerias. Wie schwer ist es da, einen so guten Teamgeist zu erschaffen?

John Obi Mikel
John Obi Mikel vom FC Chelsea ist der Kapitän einer nigerianischen Mannschaft ohne StarsBild: picture-alliance/TASS/V. Matytsin

Ich muss das nicht erst erschaffen. Wir haben bereits einen guten Teamgeist, weil alle gerne kommen und für Nigeria spielen und die grünen und weißen Farben repräsentieren. Und auf dem Feld halten wir es einfach. Da es normalerweise nicht viel Zeit für die Vorbereitung gibt, verwende ich einfache Taktiken, die alle Spieler von ihren jeweiligen Vereinen kennen und schnell verstehen können.

Sehen Sie eine Zukunft der nigerianischen Nationalmannschaft mit nigerianischen Klubspielern?

Wir haben bereits zwei oder drei Spieler aus nigerianischen Klubs im Team. Und unser CHAN-Team (Championat d'Afrique des Nations - African Nations Championship), das nur aus lokalen Spielern besteht, hat es in Marokko bis ins Finale geschafft. Auf der anderen Seite sind die Vereine in Nigeria aber nicht gut genug, um ein ganzes Team von Spielern hervorzubringen, die mit den Spielern konkurrieren könnten, die in Europa trainiert wurden.

Wird sich das jemals ändern?

Dafür bräuchten die Vereine eine bessere Infrastruktur. Aber sie haben keine guten Plätze, keine modernen Stadien und keine Jugendakademien. Im Moment kann die Nationalmannschaft nur in Uyo oder in Port Harcourt spielen - wir können nicht einmal in der Hauptstadt Abuja spielen, weil es dort keinen geeigneten Platz gibt. Wir müssen Fortschritte machen.

Ist die Zeit reif dafür, dass ein afrikanisches Team die Weltmeisterschaft gewinnt?

Ich hoffe, dass ein afrikanisches Team eines Tages die Weltmeisterschaft gewinnen wird. Die Teams arbeiten überall daran. In Nigeria wollen wir organisatorische Fehler der Vergangenheit vermeiden. Zum Beispiel haben wir mit den Offiziellen im Vorfeld eine Vereinbarung über Bonuszahlungen und Zulagen für die Spieler getroffen, so dass es nicht wie früher in letzter Minute noch Diskussionen und Verhandlungen gibt, die unsere Leistung beeinträchtigen. Wir können uns jetzt ganz auf unsere WM-Spiele konzentrieren.

Gernot Rohr, geboren am 28. Juni 1953 in Mannheim, ist ein ehemaliger deutscher Fußballspieler. Nach seiner Zeit bei Bayern München, Waldhof Mannheim und Kickers Offenbach wechselte er zu Girondins Bordeaux und gewann dort dreimal die französische Meisterschaft (1984, 1985 und 1987). 1989 beendete er seine Spieler-Karriere und arbeitete als Trainer, unter anderem für OGC Nizza, Young Boys Bern und den FC Nantes. Seit 2010 trainiert er afrikanische Nationalteams. Nach den Stationen Gabun, Niger und Burkina Faso ist er seit August 2016 für die nigerianische Fußballnationalmannschaft verantwortlich. Rohr besitzt seit 1982 die französische Staatsbürgerschaft.

Das Interview führte Philipp Barth