Lufthansa bringt Absturzopfer heim
9. Juni 2015Die in Marseille gestartete Lufthansa-Sondermaschine traf am Dienstagabend auf dem Flughafen der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf ein. Dort sollen die 44 Särge an diesem Mittwoch den Angehörigen übergeben werden, die dann endlich ihre Toten begraben können.
"Trauer und Schmerz brauchen ihre Zeit, bis wir weitergehen können im Leben", hatte Bundespräsident Joachim Gauck im Rahmen des Staatsakts für die Opfer gesagt, der drei Wochen nach dem Flugzeug-Unglück im Kölner Dom stattfand. Auf den Tag genau elf Wochen hat es gedauert, die Toten zu identifizieren, die vorgeschriebenen Dokumente zu erstellen und die ersten von ihnen zu ihren Angehörigen zu bringen.
Das Begreifen hilft
Ob die Hinterbliebenen nun irgendwie "weitergehen können im Leben"? "Das kann man ihnen nur wünschen", sagt Norbert Mucksch, Vorstandsmitglied des deutschen Bundesverbandes Trauerarbeit. Sicher ist sich Mucksch aber, dass die Überführung der Leichen und die anschließende Beisetzung ein Meilenstein bei der Aufarbeitung der Trauer sein wird: "Das Unfassbare wird durch den Akt der Beisetzung ein kleines bisschen fassbarer", sagt der Theologe und Sozialarbeiter.
Es ist kein Zufall, dass in vielen Sprachen die Wörter für "begreifen" und "erfassen" sowohl einen kognitiven Vorgang als auch physisches Berühren bedeuten können. "Ich rate Hinterbliebenen meist dazu, sich am offenen Sarg von ihren Toten zu verabschieden", sagt Mucksch, denn wer den Toten sieht oder gar anfasst, könne den Tod leichter akzeptieren und den Verstorbenen gehen lassen.
Erschwerte Trauerarbeit
Die Hinterbliebenen der Opfer von Tragödien wie dem Germanwings-Absturz oder auch dem Untergang der Costa Concordia haben es deshalb besonders schwer. Denn die Leichen sind oft nur durch wissenschaftliche Methoden identifizierbar. Dann müssen sich die Angehörigen auf die Analysen der Forensiker verlassen, um so etwas Ähnliches wie Gewissheit zu erlangen. "Ein echtes Begreifen ist also gar nicht möglich", erklärt Mucksch.
Hinzu kommt das lange Warten: Elf Wochen ist das Germanwings-Unglück her. Im Falle der Costa Concordia wurden die letzten Leichen erst zweieinhalb Jahre nach dem Unglück geborgen. In dieser Zeit mussten sich die Hinterbliebenen auch noch mit den Behörden auseinandersetzen. Zwischenzeitlich hieß es sogar, die Überführung würde sich noch einmal verzögern. Umso wichtiger, dass zumindest dieser Teil nun doch ein Ende hat.
"In den ersten Tagen nach dem Tod eines Angehörigen kann es sogar hilfreich sein, sich um Formalia zu kümmern", sagt Sozialarbeiter Mucksch, "weil es den Hinterbliebenen Struktur gibt, weil sie funktionieren müssen". Das aber treffe auf die Verwandten der Absturz-Opfer nicht zu, so Mucksch: "Sie sind in einer ganz anderen Trauerphase."
Ein neues Kapitel aufschlagen
Doch nicht nur deshalb dürfte die Beisetzung einen Wendepunkt für die Hinterbliebenen markieren, glaubt auch der Bestattungsunternehmer und Trauerbegleiter David Roth: "Die Abschiedszeremonie ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Aufarbeitung der Trauer." Die Beerdigung dürfte den Angehörigen ein Stück Autonomie zurückgeben: "Erst wenn man die Toten zur Ruhe legt, kann man auch selbst Ruhe finden. Erst dann muss man sich keine Sorgen mehr um sie machen."
Und erst dann kann man sich ganz der eigenen Trauer widmen und beginnen, den Verlust aufzuarbeiten. Dabei spielt die Gedenkstätte eine wichtige Rolle. "Das muss kein klassisches Grab auf einem Friedhof sein", sagt Bestatter Roth. Wichtig sei aber für die meisten Trauernden die physische Präsenz: "Es ist sicher kein Zufall, dass die meisten Kulturen Begräbnisstätten haben."
Trauerbegleiter Mucksch erklärt das so: "Ein Erinnerungsort ist wichtig, um auch später noch die Nähe zu der geliebten Person suchen zu können."
Vereint in Trauer
"Bis der Trost wirklich tröstet, hilft oft nur das Wissen und das Gefühl, nicht allein zu sein", sagte Bundespräsident Gauck den Trauernden im Kölner Dom. Und tatsächlich, meint auch Bestatter Roth, könne die Vereinigung in der Trauer helfen: "Studien zeigen, dass Gruppentherapien in der Trauerarbeit meist hilfreicher sind als Einzeltherapien." Trauernde könnten sich so gegenseitig Tipps zum Umgang mit der Gesamtsituation oder akuten Krisen geben. Zudem gebe die Gruppe der unumkehrbaren Ausnahmesituation einen Hauch von Normalität. Das helfe, aus der "Warum gerade ich?"-Schleife zu entkommen.
Insofern glaubt auch Theologe Norbert Mucksch, dass die Hinterbliebenen der 16 toten Jugendlichen der Schulklasse aus Haltern am See bessere Chancen haben, nicht in die Isolation zu geraten. Die droht vielen Trauernden, weil das soziale Umfeld sie aus Unsicherheit meidet oder sie sich selbst von Freunden abwenden, weil sie sich unverstanden fühlen.
Die besondere Tragik, die auch den medialen Fokus auf die nordrhein-westfälische Kleinstadt lenkte, sieht Mucksch daher auch weniger in der Häufung, sondern im Alter der Opfer: "Der Tod eines Kindes setzt ein Lebensgesetz außer Kraft, nämlich die Generationenfolge."