German Internet-Angst
10. Juli 2013Die Angst vor der totalen Überwachung ist nicht neu. Dass auch nach der Wiedervereinigung und dem Ende des DDR-Staatsicherheitsdienstes in Deutschland kräftig abgehört und nachgelesen wurde, ist allgemein bekannt. Doch die Bespitzelung, so dachte man bisher, richte sich gegen ein paar Verdächtige. Die Erkenntnis, dass es tatsächlich jeden trifft, löst gerade in Deutschland große Diskussionen und Ängste aus. Denn persönliche Daten sind den Deutschen heilig.
Als Google Street View 2010 mit seinen Kameraautos durch Deutschlands Straßen fuhr, war der Aufschrei groß. Einige versuchten sogar, Google zu stoppen. Doch die Autos durften weiter fahren, die Kameras jede Hauswand knipsen, allerdings mit der Auflage, dass Hausbesitzer ihr Haus verpixeln lassen durften.
Schon damals schüttelte der Autor Jens Ihlenfeld im Technik-Blog "Golem.de" den Kopf: "Da wettern Bürger gegen Googles Pläne und lassen sich dabei vor dem Haus von einer Fernsehkamera filmen oder mit einem entsprechenden Foto in der Zeitung abdrucken. Prominente, die für gewöhnlich die Öffentlichkeit suchen, fürchten um ihre Privatsphäre, und Minister kündigen öffentlich an, ihre Häuser verpixeln zu lassen."
Von der Pixelmöglichkeit haben sehr viele Hausbesitzer und -bewohner Gebrauch gemacht, weil sie ihre Häuser nicht im Internet sehen wollen. So sieht Google Street View in Deutschland nicht sehr schön aus - in manchen Straßen ist jedes dritte Haus verpixelt. "Fährt" man dagegen durch die Straßen von London oder Paris, hat man ein ungetrübtes Bild.
Die Deutschen werfen nicht mit ihren Daten um sich
Auch wenn Facebook in aller Munde ist: "Nur" 35 Prozent der Deutschen nutzen das soziale Netzwerk. In vielen anderen Ländern sind es an die 50 Prozent. Von den deutschen Facebook-Nutzern beschäftigt sich die große Mehrheit intensiv mit den Privatsphäreeinstellungen und ist auch der Meinung, dass sich Facebook und Google an die deutschen Datenschutzrichtlinien zu halten hätten.
Über die strengen Datenschutzrichtlinien in Deutschland hat sich schon 1998 das US-Technikmagazin "Wired" Gedanken gemacht. Das große Sicherheitsbedürfnis habe seinen Ursprung in der "German Internet-Angst". Und diese Angst entspringe dem tiefen Misstrauen, das den Deutschen allem Unbekannten und Neuem gegenüber nachgesagt wird.
Das Internet ist tatsächlich für viele Menschen in Deutschland noch ein großes, unbekanntes Terrain. Sie bewegen sich dort vorsichtiger, als es die Nutzer in anderen Ländern tun.
Verschlüsseln ist schon lange möglich
Der Journalist Burkhard Schröder ist spezialisiert auf Internetsicherheit und wundert sich ein wenig: "Den Deutschen haftet immer so eine gewisse Bedenkenträgerei an. Man hat nur die Risiken im Kopf, aber nie die Chancen, die etwas Neues mit sich bringt." Gleichzeitig aber würden Milliarden E-Mails mit vertraulichen Inhalten verschickt, die unverschlüsselt seien. Selbst Journalisten ließen ihre Informanten ins offene Messer laufen, wenn sie unverschlüsselt mit ihnen kommunizieren. "Dabei ist Verschlüsselung schon seit 1992 möglich", erklärt Burkhard Schröder. Zahllose Anleitungen für alle Browser seien im Internet zu finden.
"Wir müssen uns doch bewusst darüber sein, dass bestimmte Dinge nicht jeden etwas angehen", meint Burkhard Schröder und kann es nicht verstehen, dass die meisten Menschen hierzulande einfach zu bequem seien, um sich mit Verschlüsselung und ähnlichen Schutzmaßnahmen auseinanderzusetzen.
Auch Deutschlands oberster Datenschützer Peter Schaar setzt auf die Verschlüsselung sensibler Daten. Er glaubt nicht, dass Internetnutzer, die ihre Mails verschlüsseln, die Aufmerksamkeit argwöhnischer Beobachter erst recht auf sich ziehen: "Das passiert nicht durch das Verschlüsseln. Auch Vorhänge in Wohnungen werden ja allgemein akzeptiert", erklärte Schaar via Twitter.
Misstrauen ist in anderen Ländern viel kleiner
Dass gerade in Deutschland so viel Misstrauen herrscht, hat, so glauben viele, historische Gründe. Der Autor Malte Lehmer beschäftigt sich in einem Artikel in der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel" mit den unterschiedlichen Reaktionen auf den Abhörskandal. Die heftige Reaktion der Deutschen schreibt er dem Erbe von Gestapo (der Geheimpolizei im Nationalsozialismus) und Stasi (dem Geheimdienst der DDR) zu. "Der Kampf gegen omnipotente Geheimdienste ging daraus gewissermaßen als Vergangenheitsbewältigung hervor."
Auch Internetexperte Burkhard Schröder glaubt an das kollektive Gedächtnis der Deutschen, die sich im Dritten Reich und in der DDR von ihren Regimes bespitzeln lassen mussten. "Die Engländer dagegen wissen zwar, dass sie überwacht werden, trauen ihrer Regierung solche Schweinereien jedoch nicht zu", vermutet er, und das könnte ein Grund dafür sein, dass sie sich jetzt nicht so aufregen.
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison lebt in Deutschland und beschäftigt sich mit transatlantischen Beziehungen. Bei der Frage, ob denn die Reaktion auf den NSA-Abhörskandal typisch deutsch sei, lacht er fast laut auf: "Wer hier wirklich hysterisch ist, das sind die Politiker und die Medien", so Denison. Er hält die Aufregung, die zurzeit herrscht, für überzogen. "Es ist eine falsche Empörung", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er habe den Eindruck, dass die deutsche Bevölkerung nicht so überrascht sei wie so mancher Politiker es jetzt darstelle. "Ich habe mit sehr vielen Leuten gesprochen, die sogar damit rechnen, abgehört zu werden und sich dementsprechend verhalten."