Handy-Durchsuchung von Asylbewerberin rechtswidrig
2. Juni 2021Farahnaz S. blieb keine andere Wahl, als ihr Handy entsperrt auszuhändigen.
Als Frau S. im Mai 2019 ihren Asylantrag in Deutschland stellte, brachte sie ihre Heiratsurkunde und andere Dokumente mit um zu beweisen, dass sie aus Afghanistan kommt. Doch sie hatte keinen Pass - und eines der ersten Dinge, nach denen die Migrationsbeamten deshalb fragten, war ihr Telefon.
"Ich weiß nicht mehr, ob ich es für sie entsperrt, oder ihnen meinen Pin gegeben habe", sagte Farahnaz S., deren Namen auf Wunsch ihres Anwalts geändert wurde. "Aber sie hatten Zugang zu allem."
Nach 44 Minuten bekam Frau S. ihr Telefon zurück. In der Zwischenzeit hatte die Behörde mit einer Software Metadaten auf dem Gerät nach Hinweisen auf ihre Herkunft durchsucht. Kurze Zeit später forderte ein Sachbearbeiter Zugang zu den Ergebnissen an. Einen Monat später wurde ihr Asylantrag abgelehnt.
Solche Durchsuchungen von Mobiltelefonen sind in Deutschland mittlerweile gängige Praxis in Asylverfahren. Doch zumindest im Fall von Farahnaz S. war die Durchsuchung illegal, so die Ansicht der Berliner Richter.
Das Berliner Verwaltungsgericht entschied am Dienstag, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kein Recht hatte, so früh in der Antragsphase Zugriff auf die Handy-Daten zu verlangen. Gleichzeitig habe das BAMF gegen geltendes Gesetz verstoßen, indem es Informationen unnötigerweise gespeichert habe, so der vorsitzende Richter.
Die erste von vielen Entscheidungen
Seit 2017 dürfen deutsche Behörden die Handy-Metadaten von Flüchtlingen auswerten, wenn diese ihre Identität nicht mit gültigem Pass oder Personalausweis nachweisen können.
Doch in drei separaten Prozessen klagen Asylsuchende, unterstützt von Bürgerrechtlern, gegen die Praxis. Die Durchsuchungen, so argumentieren sie, seien ineffektiv, unverhältnismäßig und datenschutzrechtlich bedenklich.
Die Verhandlung am Dienstag, bei der die DW anwesend war, war die erste Anhörung in den drei Verfahren — und die Entscheidung könnte Auswirkungen darauf haben, wie die deutschen Behörden zukünftig Technologie bei der Bearbeitung von Asylanträgen einsetzt.
"Das Urteil zeigt, dass die gesamte Praxis des BAMF Handy-Daten auszulesen rechtswidrig ist", sagte Lea Beckmann, Juristin bei der Berliner Nichtregierungsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
Davon könne eine Signalwirkung für die anderen Verfahren ausgehen. Und das Urteil könne indirekt Auswirkungen auf eine laufende Beschwerde bei Deutschlands Datenschutz-Aufsichtsbehörde haben, so Beckmann.
Im Februar hatte die GFF gemeinsam mit einem Geflüchteten aus Syrien den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Ulrich Kelber gebeten, die Auswertung der Handydaten zu überprüfen. Anders als das Berliner Verwaltungsgericht hätte Kelbers Behörde die Befugnis, dem BAMF die Praxis zu untersagen. Eine Entscheidung könnte in den nächsten Wochen fallen.
Das BAMF wollte die Entscheidung vom Dienstag nicht kommentieren, bevor das Gericht sein schriftliche Urteil veröffentlicht hat. Das wird in zwei Wochen erwartet.
Zuvor hat das Amt die Handy-Durchsuchungen als notwendiges und hilfreiches Instrument verteidigt, um Asylbetrug zu verhindern und Antragsentscheidungen zu erleichtern.
Weniger Datenschutz für Flüchtlinge?
Rund um die Welt setzen Migrationsbehörden zunehmend Technologie ein, um die Geräte und Social-Media-Konten von Asylsuchenden zu analysieren.
Aber es scheint kein Zufall, dass sich ausgerechnet in Deutschland juristisch Widerstand regt - einem Land, das nach der Erfahrung zweier autoritärer Staaten im 20. Jahrhundert zum weltweiten Vorreiter im Datenschutz geworden ist.
Farahnaz S. Anwalt Matthias Lehnert sagte, das Urteil sende ein starkes Signal, dass das BAMF nicht einfach "auf Vorrat” auf Daten von Asylbewerbern zugreifen und diese speichern dürfe - "etwas, was bei deutschen [Staatsbürgern] undenkbar wäre".
Er rechne nicht damit, dass das hiesige Urteil unmittelbare Auswirkungen hat. Aber es könnte zu weiteren Prozessen führen, die das BAMF schließlich dazu zwingen könnten, seine Praxis zu ändern, so Lehnert.
Vor Gericht einigten sich eine BAMF-Vertreterin und Farahnaz S.s Anwälte darauf, dass — sollte das BAMF sich entschließen, die Entscheidung anzufechten — der Fall direkt an das höchste deutsche Verwaltungsgericht in Leipzig gehen würde.
Richter dort könnten dann entscheiden, ob sie sich hinter die Berliner Entscheidung stellen oder sie aufheben.
Sie könnten den Fall auch an das Bundesverfassungsgericht weiterleiten — das die Gesetzesnovelle von 2017 aufheben könnte, durch die Telefondurchsuchungen erst erlaubt wurden.
Und dann gebe es noch die zwei weiteren laufenden Klagen von Geflüchteten aus Syrien und Kamerun an anderen deutschen Verwaltungsgerichten, betonte Lehnert.
Der Kampf um Handy-Daten hat gerade erst begonnen.