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Heimatfilm zwischen Kitsch und Kunst

Jochen Kürten
23. März 2018

Seit Horst Seehofer neuer Heimatminister ist, wird wieder verstärkt über "Heimat" diskutiert. Anlass für uns zurückzublicken auf deutsche und internationale Heimatfilme - und mit einem Experten zu sprechen.

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Heimatfilm Das schöne Abenteuer Deutschland 1959
Bild: Imago/United Archives

Deutsche Welle: Herr Bliersbach, was ist Ihnen spontan durch den Kopf geschossen, als Sie gehört haben, dass Horst Seehofer Bundesminister für das Innere, Bau und Heimat wird?

Gerhard Bliersbach: Ich dachte, das ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit und des Unverständnisses dessen, was die Leute bewegt. Ein Rückgriff auf etwas, was scheinbar populär ist, ohne zu sehen, in welchem Kontext das eigentlich steht. Ich denke, Seehofer versucht an die Heimat-Sehnsüchte oder an die Heimat-Begeisterung der 1950er Jahre anzuknüpfen, um dann, wie ein Marketing-Mann, eine Politik zu propagieren, die die Leute irgendwie anzieht oder zumindest interessiert. 

Sie haben sich ja ausführlich mit dem deutschen Heimatfilm beschäftigt. Haben die Bayern und damit auch Horst Seehofer eigentlich ein anderes Verhältnis und einen anderen Bezug zur Heimat als die Deutschen in anderen Bundesländern?

Ja, möglicherweise sind die Deutschen in Niederbayern, jedenfalls die auf dem Land, stärker in ihrem heimatlichen Alltag verwurzelt. Das kann ich mir schon gut vorstellen. Aber ich denke, in den Großstädten sieht das ganz anders aus. Und Heimat ist ja irgendwie auch, wie soll ich sagen, verdünnt, verflüchtigt worden.

Ich frage auch vor dem Hintergrund, dass die meisten Heimatfilme in den 50er Jahren in der Bergwelt Bayerns oder auch in Österreich spielten.

Aber nicht nur! Viele Filme spielen auch in der Lüneburger Heide oder am Rhein. Die Filmcrews sind damals ja oft relativ weit rumgekommen.

Was hat den deutschen Nachkriegsheimatfilm ausgemacht? Ein oft zu hörendes Urteil ist ja, dass es den Leuten um Ablenkung nach dem Krieg ging. Das Publikum wollte im Kino vergessen, wollte sich schöne Dinge angucken, Landschaften, Natur, melodramatische Geschichten.

Ich glaube, damit werden die Filme unterschätzt, weil sie zu schnell gelesen werden. Wenn man sich die Filme genau beguckt, dann sind in den Filmen ja doch meistens Entwürfe für Lebensbewegungen zu sehen, Geschichten von jungen Leuten, die irgendwie versuchen aufzubrechen, irgendwo anders hinzugehen, die dann Bindungen eingehen, sich wieder entfernen, wieder zurückkehren. Daraus resultieren dann ja auch Konflikte.

Deutschland Film Grün ist die Heide
Sonja Ziemann und Rudolf Prack in "Grün ist die Heide"Bild: picture-alliance/Keystone

Ich denke das war ein ganz bescheidender Entwurf - nach der kompletten Zerstörung, auch der Zerstörung kultureller und familiärer Traditionen, erst wieder einmal innerhalb der Familien in einem gewissermaßen dörflichen Umfeld bescheiden anzufangen.

Zugleich waren diese Filme, wenn man einmal an "Grün ist die Heide" denkt, auch enorme Filme des Klagens über die immensen Verluste, die die Protagonisten mit sich herumtrugen. Da wurde Heimat zu einer Art von Entwurf in einer unübersichtlichen Welt, auch eine Rückkehr. Die Großstadt spielt ja nicht so eine Rolle. Die kam ja höchstens vor, wenn die Besucher mit ihren Autos in die Sommerfrische fuhren. Es war ein Versuch der Reparatur insgesamt - und das ist etwas, was in unserem heutigen Kontext überhaupt nicht mehr passt.

Heimatfilme, auch kritische, gab es ja dann auch in späteren Jahrzehnten beim Neuen Deutschen Film. Namen wie Herbert Achternbusch stehen dafür. Der kommt auch aus Bayern, aber er hat ganz anders auf seine Heimat geschaut….

In diesen Filmen sind natürlich die innerfamiliären oder psychosozialen Dramen aufgegriffen worden - die Abgründe, die sich natürlich auftun, sobald man soziale Verhältnisse und familiäres Gefüge näher beschreibt. Dann sieht es natürlich anders aus. Aber in den Filmen der 50er Jahre ging es natürlich sehr um die Versöhnung, um das Sortieren der familiären Bindungen - was eigentlich noch hält oder halten kann.

Gerhard Bliersbach Psychologe und Filmwissenschaftler
Experte in Sachen deutscher Heimatfilm: Gerhard Bliersbach Bild: DW/J. Kürten

Das könnte auch heute eine große Rolle spielen. Viele Leute haben Angst, mag sie auch diffus sein, vor Ausländern, vor den Flüchtlingen, die ins Land kommen. Könnten da nicht auch wieder Heimatfilme entstehen, die auf Sehnsüchten nach alten Zeiten basieren?

Ich kann mir das schlecht vorstellen, wie das funktionieren soll und wie solche Geschichten aussehen. Sicherlich, gute Beschreibungen des Alltags sind ja immer notwendig. Es ist ja wahrscheinlich doch das tiefsitzende Gefühl, nicht zu wissen, wer wir sind und wo wir hingehören. Die Nachkriegspolitik der ersten konservativen Regierung war ja sehr darum bemüht, die Bundesrepublik in das europäische Bündnis hineinzuführen und wieder salonfähig zu machen.

Seitdem sind wir ja irgendwie auf der Suche nach etwas: Wir importieren die italienischen Alltagskultur, die französische, die spanische, die englische und jetzt auch die türkische. Es ist ein ganzes Sammelsurium an kulturellen Alltagsformen, die wir hier aufzunehmen und zu leben versuchen. Aber es kommt eigentlich nicht so richtig etwas Kohärentes zustande.

In jüngster Zeit könnte man unter der Rubrik "Heimatfilm" auch die Filme über Deutschland einordnen, die von oben aus der Vogelperspektive auf das Land herabschauen. Die zeigen sehr schöne Landschaften. Wie ordnen Sie so etwas ein?

Das sind sicherlich Versuche, sich zu vergewissern, wo wir eigentlich sind und wo wir hingehören. Da denke ich schon, dass wir uns umschauen in unseren Landschaften, die ja auch sehr ansehnlich sind. Aber dass das Räume des Lebens, zum Leben sind, in denen wir uns gern bewegen, das ist ja die große Frage. Das gelingt noch nicht richtig.

Jägerschlacht Heimatfilm von Wigbert Wicker BRD 1984
Einer der weniger kritischen neuen Heimatfilme der 1980er Jahre: "Jägerschlacht"Bild: Imago/United Archives

Interessant ist, dass Heimat im Kino immer mit Natur und Landschaft verbunden wird, aber nicht mit Städten und großen Ansiedlungen von Menschen. Wie ist das zu erklären? Gerade dort leben doch auch viele Millionen Menschen - das ist doch auch Heimat.

Ja, Heimat hat in unserem Verständnis, in einem deutschen Verständnis, einem bundesdeutschen Verständnis, einen mütterlichen Anklang. Es ist der Ort der Sehnsucht, an den man zurückkehrt, auf den man zurückblickt. Eigentlich wird die Heimat dann bedeutungsvoll, wenn man anfängt über sein Leben nachzudenken: Wo ist man eigentlich hineingeraten? Wo hat man sich niedergelassen? Wo lebt man sein erwachsenes Leben? Und dann blickt man auf einmal zurück auf das Alte. Auf die alte Umwelt, die ja sehr mütterlich geprägt ist, mit den mütterlichen Versorgungsphantasien und ähnlichen Dingen.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Gerhard Bliersbach ist Diplom-Psychologe, Psychotherapeut und Autor. Er hat unter anderem das Buch "So grün war die Heide... Der deutsche Nachkriegsfilm in neuer Sicht", Weinheim, Beltz Verlag 1985, geschrieben.