Gerettete Schätze
15. Juni 2010Im Saal der Bundeskunsthalle in Bonn schauen ein Dutzend bärtiger Männer und eine Frau mit rotem Kopftuch scheu ins Publikum. So viel Lob sind sie nicht gewohnt. "Das sind die Helden, die die Kultur Afghanistans gerettet haben", ruft laut der afghanische Politiker Omar Sultan seinen deutschen Zuhörern zu.
Was diese bescheidenen Museumsmitarbeiter geschützt haben, ist nichts Geringeres als einer der wertvollsten archäologischen Funde der Weltgeschichte. "Dafür haben sie über 30 Jahre gekämpft" sagt ihr Chef, Omar Khan Massoudi, der Direktor des Nationalmuseums in Kabul, "vor allem, indem sie schwiegen."
Zeugen vielfältiger Kultureinflüsse
Als die sowjetischen Truppen 1988 den Rückzug aus Afghanistan vorbereiteten, sorgten sich die Mitarbeiter des Nationalmuseums in Kabul, wie sie die Kunstschätze, die ihnen anvertraut worden waren, vor dem zu erwartenden Bürgerkrieg retten könnten. Es galt, rund 20.000 einmalige Artefakte zu verstecken. Darunter goldene bronzezeitliche Schalen aus Baktrien, filigrane Ziegel und Kapitelle hellenischer Machart aus der Zeit Alexanders des Grossen. Außerdem unschätzbare Funde aus insgesamt sechs Gräbern bei Tillya Tepe. Alle Gegenstände sind Zeugen der vielfältigen Kultureinflüsse, die Afghanistan zu einer der kulturell reichhaltigsten Regionen Asiens machen.
Zerstört oder geplündert
Der damalige Präsident Afghanistans, der Kommunist Nadschibullah, zeigte Verständnis und veranlasste es, dass diese Schätze sicher versteckt werden konnten. "Einige ausgesuchte Mitarbeiter wählten über 23.000 Stücke aus und schafften sie an einen geheimen Ort, sagt Massoudi. Es war der Tresor der afghanischen Zentralbank im Zentrum der umkämpften Hauptstadt Kabul, wie die Welt erst 2003 erfuhr. "In der Zeit, in der die Mudschaheddin an die Macht kamen und die Kommunistische Partei entmachtet wurde, schlugen Raketen ein, Regierungsbüros und das Stadtzentrum von Kabul wurden geplündert", erinnert sich Massoudi. "Die Plünderer wussten über die Artefakte Bescheid, die wir zur Sicherheit ins Stadtzentrum gebracht hatten."
Trotz aller Bemühungen von Massoudi wurde das Museum in den Jahren 1992 und 1993 mehrmals geplündert. "Es waren ungebildete Menschen, die nicht wussten, was sie Afghanistan antun", sagt er heute - fast entschuldigend. In den folgenden Jahren wurden die meisten Ausstellungsstücke, die noch im Museumsgebäude verblieben waren, auf den Märkten Afghanistans - aber auch in andere Länder verkauft.
Kulturelles Armageddon
Die Taliban gaben dem Museum schließlich fast den Todesstoß. Als die Religionskrieger die zum Weltkulturerbe gehörenden Buddha-Statuen von Bamiyan zerstörten, vernichteten sie zeitgleich auch die restlichen Bestände des afghanischen Nationalmuseums. Mit der Kunst, so der Wahnwunsch der Taliban, sollte auch die alte, gottlose Kultur sterben. Lediglich die archäologischen Funde, die Massoudis Mitarbeiter versteckt hatten, überstanden dieses kulturelle Armageddon.
"Wir haben stets geschwiegen", sagt er. Die Mitarbeiter des Museums und des Archäologischen Instituts Afghanistans behaupteten bis 2003, sie hätten keinerlei Informationen. Die Stücke seien da, wo sie lagerten, geplündert worden.
Retten und bewahren
Seit 2003 treibt die Regierung von Hamid Karsai die Aufbauarbeiten am geschundenen Nationalmuseum voran. Auch westliche Nationen unterstützen das Projekt finanziell. Die Schätze wurden unterdessen restauriert und erstmals katalogisiert. Auf Englisch, damit heute die ganze Welt Zugang zu ihnen hat. Schon seit 2007 werden sie, zumindest ein Teil davon, in westlichen Ländern gezeigt. Bis zum 3. Oktober auch in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle.
Dass der Kampf in Afghanistan immer noch kein Ende hat, besorgt den selbstbewussten Museumsdirektor Massoud nicht mehr so wie früher. Mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft könnten er und die Afghanen die Schätze auch in Zukunft schützen, glaubt er. Der Vize-Kulturminister Afghanistans, Omar Sultan, stimmt ihm zu. "Wenn wir es 30 Jahre geheim halten konnten und niemand wusste, wo sie waren, dann können wir sie auch weiterhin behüten."
Sultan, der die Kriegsjahre im Exil in den USA überlebte, sagt, er sei es seinem Land schuldig, diese Schätze und dieses Museum zu erhalten. Denn durch diese Sammlung könnten sie, die Afghanen, der Welt zeigen, dass Afghanistan nicht nur Krieg, Tod und Elend verkörpert. Omar Sultans Traum ist es, diese einmaligen Funde irgendwann in seinem eigenen Land auszustellen. In einem großen, modernen Museum.
Autor: Cem Sey
Redaktion: Conny Paul