Georgien verkündet einseitige Waffenruhe - Gewalt geht weiter
10. August 2008Zuvor hatte Russland mit 10.000 Soldaten, hunderten Panzern und Kampfbombern weite Teile der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien unter seine Kontrolle gebracht. Die georgischen Einheiten zogen sich aus der südossetischen Hauptstadt Zchinwali in die umliegenden Berge zurück.
Im Schwarzen Meer hatten russische Kriegsschiffe zudem mit einer Seeblockade den Druck auf Georgien verstärkt. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde ein georgisches Schnellboot versenkt. Russische Kampfflugzeuge bombardierten nach Angaben aus Tiflis mehrere Städte in Georgien.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew beklagte "tausende Tote" im Konfliktgebiet. Nach unbestätigten Angaben aus Südossetien starben allein in Zchinwali etwa 2000 Menschen. In den Trümmern der weitgehend zerstörten Stadt harrten tausende Zivilisten aus. Die südossetische Führung sprach von einer humanitären Katastrophe. Lebensmittel und Medikamente seien knapp.
Putin: Georgien betreibt Völkermord
Russlands Regierungschef Wladimir Putin, der am Samstag überraschend von den Olympischen Spielen in Peking nach Nordossetien an die Grenze zur Konfliktregion gereist war, warf den Georgiern nach deren Angriff auf Südossetien "Völkermord" vor. Der russische Präsident Dmitri Medwedew, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, begründete die russischen Militärschläge in einem Telefonat mit US-Präsident George W. Bush mit "barbarischen Handlungen" Georgiens.
Nach georgischen Angaben wurden bis Sonntagabend alle "Militäreinheiten aus dem Konfliktgebiet" abgezogen. Russland bestätigte zwar den Erhalt einer entsprechenden Note aus Tiflis zum Waffenstillstand. Zugleich kritisierte Moskau aber die Fortsetzung von Kampfhandlungen durch georgische Soldaten in der Konfliktregion.
Saakaschwili: Russland will Georgien zerstören
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili, ein enger Verbündeter der USA, beschuldigte Russland, Georgien zerstören zu wollen. Er erwarte eine Invasion ganz Georgiens, sagte Saakaschwili der "Rhein-Zeitung". Saakaschwili hatte bereits am Samstag das Kriegsrecht über sein Land verhängt.
Die russische Kriegsmarine belegte das Land mit einer Seeblockade, um eine Belieferung georgischer Häfen mit Waffen oder anderen Gütern zu verhindern. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde ein georgisches Kriegsschiff versenkt. Es hätte auf Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte gefeuert.
Russland verlegte weitere Panzer und anderes schweres Kriegsgerät durch den Roki-Tunnel nach Südossetien. In dem Separatistengebiet seien mittlerweile 10.000 russische Soldaten sowie 300 Panzer stationiert, meldete der georgische Sender Rustawi2.
Zweite Front in Abchasien
Die moskautreuen Machthaber in der international nicht anerkannten Republik Abchasien am Schwarzen Meer riefen die Mobilmachung ihrer Truppen aus. Abchasische Streitkräfte rückten im Landkreis Gali gegen georgische Stellungen vor, wie das eigene Militär mitteilte. Etwa 100 Kilometer nördlich von Gali griffen Kampfbomber den von Georgien kontrollierten oberen Teil des Kodori-Tals an.
In der Konfliktregion zeichnet sich nach den Bürgerkriegen Anfang der 1990er Jahre infolge des Zerfalls der Sowjetunion ein neues Flüchtlingsdrama ab. In den vergangenen Tagen waren mehr als 30.000 Menschen vor den Kämpfen ins benachbarte Nordossetien geflohen. UN-Flüchtlingskommissar António Guterres erklärte in Genf, tausende Menschen säßen zwischen den Fronten fest. Der Krieg war ausgebrochen, nachdem georgische Bodentruppen am Freitag nach einer Eskalation der Gewalt mit den Separatisten in Südossetien einmarschiert waren. Daraufhin griff Russland militärisch ein.
Diplomatische Aktivitäten
Der französische Außenminister und amtierende EU- Ratsvorsitzende Bernard Kouchner reiste am Sonntag nach Tiflis. Anschließend wollte er nach Moskau fliegen. Seine Gespräche dienen offensichtlich der Vorbereitung einer Vermittlung durch den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Er reise "in den nächsten Tagen" nach Moskau, hieß es in Kreisen der russischen Präsidialverwaltung.
Am Dienstag will die NATO auf Botschafterebene über die Kaukasus-Krise beraten. Voraussichtlich am Mittwoch werden sich die EU-Außenminister in Brüssel mit der Lage befassen.
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bemühte sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes in mehreren Telefonaten um eine Entschärfung des Konflikts. In Gesprächen mit den Außenministern von Russland und Georgien habe er ein sofortiges Ende der Kämpfe gefordert. Ferner habe Steinmeier den Kaukasus-Beauftragten des Außenministeriums in die Krisenregion entsandt.