Stanway: "Über Spielweise zur Führungsrolle"
3. Oktober 2022Nur sieben Minuten dauerte es, bis Georgia Stanway bei ihrem Bundesliga-Debüt zum ersten Mal in Erscheinung trat. Im Mittelfeld brachte sie ihre Gegenspielerin von Eintracht Frankfurt zu Fall und sah dafür die gelbe Karte. Es war eine Mischung aus Nervosität und dem Versuch, dem Spiel ihren Stempel aufzudrücken. Eine Art Machtdemonstration für ihre Gegnerinnen und Teamkolleginnen gleichermaßen.
Doch auch wenn Stanway bei ihrem ersten Ligastart für Bayern vielleicht etwas übereifrig war, sind die Begeisterung und der Wunsch der 23-jährigen in Deutschland zu spielen, deutlich zu spüren. "Von klein auf habe ich mich für die Spielweise der Deutschen interessiert", sagte Stanway der DW. "Von der Jugend an und sogar auf nationaler Ebene ist es immer schwer, gegen sie zu spielen. Ich habe immer bewundert, wie gut sie spielen und [analysiert; Ergänzung.d.Red.], warum sie so stark sind."
"Fußballerisch hat dieser Wechsel am besten zu mir gepasst, denn ich mag die taktische, technische und physische Seite des deutschen Stils. Ich wusste, dass ich hier am meisten gefordert und gefördert werden würde, um so das Beste aus mir herausholen zu können."
Schwierige letzte Saison bei City
Ein Sieg bei der Europameisterschaft 2022 gegen Deutschland im Wembley-Stadion sollte eigentlich der perfekte Startschuss für Stanways Karriere in England sein. Die offensive Mittelfeldspielerin wurde im Januar 2022 mit einem Hattrick beim FA-Cup-Sieg gegen Nottingham Forest zur besten Torschützin von Manchester City. Sieben Jahre zuvor wurde sie im Alter von nur 15 Jahren die jüngste Spielerin des Vereins, die es in die erste Mannschaft geschafft hatte. Ihre letzte Saison bei den Sky Blues war jedoch geprägt von Zweifeln und Unstimmigkeiten über ihren Platz in der Mannschaft.
"Ich wurde vom Verein als vielseitig einsetzbar eingestuft", erklärte Stanway. "Ich habe auf jeder einzelnen Position gespielt und versucht, einen guten Job für das Team zu machen. Das war jedoch nicht das, was ich wollte. Das war natürlich eine sehr schwierige Zeit, wenn man nicht weiß, ob man kommt oder geht, ob man hier oder dort ist."
"Man ist nicht in der Lage, Konstanz in sein Spiel zu bringen, weil man nur als ‘Helfer‘ eingestuft wird. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen, egal auf welcher Position ich gespielt habe."
"Letztendlich konnte ich mir eine Position für die Europameisterschaft sichern. Das hat zwar gut geklappt, aber es hätte auch anders ausgehen können."
Deutschland fühlt sich schon wie zu Hause an
Der FC Bayern war das erste Mal Ende Februar an die Mittelfeldspielerin herangetreten. Obwohl auch andere Teams Angebote vorgelegt hatten, sagte Stanway, dass Bayern ihr das Gefühl gegeben hätte, "wertvoll" zu sein.
Dass sie in der letzten Saison bei Manchester City nur 21 Minuten in der Champions League gespielt hatte, war schwer zu akzeptieren. Die verlorene Zeit hat Stanway allerdings längst wieder aufgeholt. Sie spielte die vollen 180 Minuten bei Bayerns Sieg in der Qualifikation gegen Real Sociedad San Sebastian und sicherte dem deutschen Vertreter damit einen Platz in der Hauptrunde des Wettbewerbs.
Beim 4:0 Auswärtssieg der Bayern beim MSV Duisburg am Sonntag war Stanway an einem guten Spielzug beteiligt, der zum dritten Tor der Gäste führte. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie nur wenig Eingewöhnungszeit gebraucht hat, um mit ihren neuen Teamkolleginnen auf einer Wellenlänge zu sein.
"Wenn man sich für ein Team entscheidet, hat man immer diesen Gedanken im Hinterkopf: ‘Habe ich die richtige Entscheidung getroffen?’", fügte Stanway hinzu. "Ich habe ehrlich gesagt nicht ein einziges Mal etwas in Frage gestellt."
"In diesem Jahr geht es für mich um Beständigkeit. In dieser Mannschaft könnte es auch um eine gewisse Führungsrolle gehen - nicht in dem Sinne, dass ich Kommandos gebe, sondern einfach durch die Art und Weise, wie ich spiele. Ich könnte durch meine Spielweise eine Führungsrolle einnehmen, sei es durch ein Tackling im letzten Moment oder durch einen gewonnenen Zweikampf, der einen Angriff einleitet."
"Unglücklich zu sein gehört zum Fußball dazu. Das Leben ist aber zu kurz, um einfach nur so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre. Ich möchte den Fußball einfach genießen, in dem Umfeld spielen, in dem ich mich gerade befinde und sicherstellen, dass ich das Beste aus allem heraushole."
Verantwortung der Spielerinnen
Nach der erfolgreichen Europameisterschaft in England ist das Interesse am Frauenfußball erneut gestiegen. Stanway ist sich dieser zusätzlichen Aufmerksamkeit bewusst. Das Eröffnungsspiel Bayern gegen Frankfurt erzielte mit 23.200 Zuschauern einen Rekord in der Bundesliga. Das erste Saisonspiel der Women’s Super League (WSL) in England sahen in der Spitze 482.000 Zuschauer vor dem Fernseher, im Durchschnitt waren es 381.000.
Stanway sieht die Spielerinnen in der Pflicht dafür zu sorgen, dass das gesteigerte Interesse nicht nur ein Strohfeuer ist. "Es kommt auf uns als Spielerinnen an", sagte sie. "Wir müssen auf und neben dem Platz eine Beziehung zu den Fans herstellen. Gleichzeitig müssen wir einen Fußball spielen, der attraktiv ist und Spaß macht. Nur so können wir die Fans langfristig an uns binden."
Stanways Start in Deutschland hat genau das bewirkt: Bayern München hat in dieser Saison fünf seiner sechs Spiele im Pokal, in der Bundesliga und der Champions League gewonnen und dabei beeindruckende 18 Tore geschossen, ohne ein einziges Gegentor zu kassieren. Dieses Level beizubehalten wird nicht ganz einfach werden, doch Stanway ist auf alle Fälle vorbereitet.
Aus dem Englischen adaptiert von Mathias Brück.