Genscher in Prag: DDR-Bürger dürfen ausreisen
Vor 30 Jahren gab der westdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher tausenden DDR-Flüchtlingen in Prag grünes Licht für ihre Ausreise in die BRD. Ein Rückblick auf Sommer und Herbst 1989 in Deutschland und Osteuropa.
Historische Worte in Prag
Es ist der 30. September 1989, 18.59 Uhr. Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der BRD, steht auf dem Balkon der westdeutschen Botschaft in Prag, umgeben von geflüchteten DDR-Bürgern. "Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." spricht er ins Mikrofon. Die Worte "...möglich geworden ist" gehen im Jubel unter.
Lager in der Botschaft
Damals hielten sich rund 4000 DDR-Flüchtlinge auf dem völlig überfüllten Botschaftsgelände in der tschechischen Hauptstadt auf, viele von ihnen seit Wochen. Manche waren mit Kindern auf dem Arm über den Zaun geklettert. Alle hofften, von dort in den Westen ausreisen zu können. Genscher verhandelte mit den Außenministern der Sowjetunion, der DDR und der Tschechoslowakei - erfolgreich.
Der Fluchtsommer
Schon vorher waren tausende DDR-Bürger in Ostblockländer wie Ungarn und die Tschechoslowakei gereist, um von dort in den Westen zu kommen. Gleichzeitig wurde in der DDR die friedliche Widerstandsbewegung immer stärker und setzte die SED im eigenen Land unter Druck.
Ungarns Grenzzaun verschwindet
Schon im Mai 1989 baute Ungarn den Grenzzaun zu Österreich ab. Der Zaun war marode und weder Budapest noch Moskau waren bereit, seine Sanierung zu finanzieren. Ein Foto der Außenminister Alois Mock (Österreich, links) und Gyula Horn (Ungarn, rechts) beim symbolischen Durchtrennen des Zaunes sorgte Ende Juni 1989 weltweit für Schlagzeilen.
Löcher im Eisernen Vorhang
Tatsächlich wurde die ungarische Grenze damit noch nicht geöffnet, doch sie wurde durchlässiger. Das zeigte sich am 19. August 1989, als hunderte Ostdeutsche das "Paneuropa-Picknick", eine Friedensdemonstration an der ungarisch-österreichischen Grenze, zur Flucht nutzten. Ungarische Grenzsoldaten ließen sie gewähren. Am 10. September 1989 öffnete Ungarn die Grenze auch offiziell.
Sieg der Solidarność in Polen
1989 gingen immer mehr Ostblockländer auf Distanz zum großen Bruder UdSSR. In Polen gewann im Juni 1989 die demokratische Opposition der Solidarność bei den ersten teilweise freien Parlamentswahlen. Tadeusz Mazowiecki (Mitte, mit erhobenem Arm) wurde der erste nichtkommunistische Regierungschef eines Warschauer-Pakt-Staates.
Neue Doktrin aus Moskau
Schon ab Mitte der achtziger Jahre hatte Staatschef Michail Gorbatschow in der UdSSR mit Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) Reformen eingeleitet. Im Oktober 1989 verkündete er, was als "Sinatra-Doktrin" bekannt wurde: Warschauer-Pakt-Staaten durften eigenständig über politische Reformen entscheiden. Die Doktrin ist nach einem US-Amerikaner benannt: Frank Sinatra sang "I Did It My Way".
Die Mauer fällt
Eine sowjetische Intervention war also nicht zu befürchten, als SED-Sekretär Günter Schabowski am Abend des 9. November 1989 verkündete: "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden." Millionen Menschen strömten an die Grenze, kletterten auf und über die Berliner Mauer, feierten mit Westdeutschen. Elf Monate später trat die DDR der Bundesrepublik bei.