Geheimnis um Doping-Studie gelüftet
5. August 2013Die lange unter Verschluss gehaltene Studie zum Doping in der Bundesrepublik Deutschland ist der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Am Montagnachmittag (05.08.2013) publizierte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) den brisanten Abschlussbericht auf seiner Internetseite. Das geschah dann doch schneller als von vielen Kritikern erwartet, wohl aufgrund des immer stärker werdenden Drucks von allen Seiten. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Initiator des Projektes und das BISp hatten die Verzögerung der Veröffentlichung des Abschlussberichts mit Datenschutzbedenken begründet.
Nun aber hat die Geheimniskrämerei ein Ende gefunden. In dem 117-seitigen Abschlussbericht der Berliner Humboldt-Universität, die den Titel trägt "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" heißt es, "die vielfach formulierte These, das Dopingproblem in der Bundesrepublik sei erst mit dem Konsum von Anabolika in den 1960-er Jahre offen zutage getreten, lässt sich jedenfalls eindrucksvoll widerlegen". Demnach beginne die Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik nicht erst 1970, sondern bereits 1949. Bis 1960 seien im deutschen Sport Amphetamine "systematisch zum Einsatz gekommen". Auch die Elite des deutschen Fußballs hätte die aufputschenden Amphetamine genommen.
Staat und Verbände wussten Bescheid
Die Dopingforschung sei zum Zwecke der Leistungssteigerung von staatlichen Stellen geduldet und gefördert worden, Staat und Sport-Verbänden seien bis zur Wendezeit schwere Versäumnisse anzulasten. Die Autoren kommen zu dem Schluss, anwendungsorientierte Dopingforschung an der Universität Freiburg unter Leitung des Sportmediziners und früheren Olympia-Arztes Joseph Keul, sei "von allen entscheidenden Instanzen entweder toleriert oder sogar befeuert" worden.
"Kurzum" habe Keul "aufgrund der Zustimmung von allen maßgeblichen Organisationen und staatlichen Stellen" davon ausgehen müssen, "dass seine anwendungsorientierte Dopingforschung sportpolitisch gewollt war". Keul war ab 1980 Chefarzt der deutschen Olympia-Mannschaften und zuvor seit 1960 schon betreuender Olympia-Arzt. Er starb im Jahr 2000. Sein Institut, heißt es in der Studie, sei als "Zentrum der westdeutschen Dopingforschung" anzusehen gewesen.
Gefahren bewusst verschwiegen
In der Ausarbeitung der HU Berlin heißt es, BISp-geförderte Studien über Anabolika und Testosteron seien von den beauftragten Wissenschaftlern auch zum Zwecke der Leistungssteigerung bei deutschen Athleten durchgeführt worden. Ergebnisse, die gesundheitliche Gefahren von Doping nachwiesen, seien nicht veröffentlicht worden. Darüber hinaus seien vom BISp Maßnahmen gefördert worden, "die den Anabolikagebrauch im Sport flankierten: so z. B. mit einer Studie zur Festigkeitserhöhung von Sehnengewebe. Der Bedarf danach erklärte sich aus der Anabolika-Anwendung im Sport, die bei vielen Leistungssportlern zu Sehnenverletzungen geführt hatte."
Der Einsatz von Anabolika im Leistungssport sei "bis weit in die 1970er Jahre hinein mit einer intensiven sportmedizinischen Forschung" einhergegangen. Generell seien dem Staat und Sportverbänden Versäumnisse im Kampf gegen Doping bis zur Wendezeit vorzuwerfen. Beispielsweise habe der frühere Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), August Kirsch, gleichzeitig auch BISp-Direktor, "maßgeblich zur Verschleppung der vereinbarten Dopingkontrollen" beigetragen.
Forschungen auch in Richtung Blutdoping
Es habe auch Blutdopingforschungen gegeben. Das BISp habe das erste Projekt zum Mittel Actovegin 1981 vergeben, zwei weitere 1983 und 1984: "Laut handschriftlicher Notizen testeten die Kölner Sportmediziner dieses Medikament an Radsportlern und Spielern der Hockey-Nationalmannschaft." Konkreter beschrieben werden Zweck und Rahmen der Versuche nicht.
Die Berliner Forschergruppe verbreitete im Rahmen der Studie nur Ergebnisse aus der Zeit von 1950 bis 1990. Vor der Untersuchung der Nachwendezeit war das Team um Giselher Spitzer aus dem Projekt im März 2012 ausgestiegen, auch, weil die historische Arbeit erschwert worden sei. Viele Verantwortliche in den Verbänden hätten als Gesprächspartner nicht mehr zur Verfügung gestanden, weil sie sich sonst anscheinend selbst belastet hätten.
Mangelnde Unterstützung
Kritik übten die Forscher auch an der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA), die dem Beirat des Forschungsprojektes angehört. "Es musste festgestellt werden, dass die historische Aufarbeitung seitens des Projektes bei einigen Sportverbänden und Institutionen nicht auf die gewünschte Unterstützung stieß", hieß es. Dies betreffe nicht den DOSB oder das BISp, sondern vielmehr die NADA. Diese habe "für die einschlägigen Archivalien aus der Zeit nach 1990 nur Einsicht gewährt, aber keine Kopie zur Verfügung gestellt". Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wertet die Veröffentlichung positiv. "Wir begrüßen die Veröffentlichung der Studienergebnisse sehr. Wir werden die Ergebnisse analysieren und Konsequenzen erörtern", sagte Pressesprecher Christian Klaue dem Sport-Informations-Dienst (SID).
Die Studie soll nun endgültig Thema im Deutschen Bundestag werden. Die Fraktion der SPD hat für den Sportausschuss deshalb eine Sondersitzung beantragt. Als Termine sind der 29. August oder alternativ der 2. und 3. September vorgesehen. Gleichzeitig beantragte die Oppositionspartei die Teilnahme von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Als Sachverständige sollen Professor Giselher Spitzer (Projektleiter an der Humboldt-Universität), Direktor Jürgen Fischer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) und Präsident Thomas Bach vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eingeladen werden.