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Gegen den Strich

Carla Bleiker7. November 2013

Seit 2002 gilt in Deutschland ein liberales Prostitutionsgesetz. Seitdem ist das Land "Europas Puff" geworden, sagen Kritiker. Sie fordern neue Regelungen. Andere wollen das Geschäft mit dem Sex gar ganz verbieten.

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Eine Prostituierte steht am Strassenstrich und wartet auf Freier. (Foto: imago/EQ Images)
Bild: imago/EQ Images

Ein 16-jähriges Mädchen wird auf der Müllhalde gefunden. Tot. Offenbar ermordet. Das Mädchen stammt aus Weißrussland und wurde unter einem Vorwand nach Deutschland gelockt. Hier wurde es zum Sex-Spielzeug älterer Männer, findet die Polizei heraus. Ein "Wegwerfmädchen" - so heißt die hier beschriebene Folge des "Tatort", der erfolgreichsten Krimireihe im deutschen Fernsehen. Der Film sorgte 2012 für viel Quote und Aufsehen. Maria Furtwängler spielt die ermittelnde Kommissarin und gehört zu 90 Prominenten, die in der aktuellen Ausgabe der feministischen Zeitschrift "Emma" eine Initiative unterzeichnet haben: Prostitution abschaffen!

In einer humanen Gesellschaft dürfe es keinen Frauenkauf geben, heißt es in dem Appell von Chefredakteurin Alice Schwarzer. Deutschlands bekannteste Kämpferin für Frauenrechte hat so eine Debatte losgetreten, die schnell auch in der Politik gelandet ist. Wieder einmal. Das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Bundesregierung ist schon seit seiner Einführung umstritten.

"Prostituierte besser schützen"

Seit Beschluss der Regelung 2002 gilt die Prostitution in Deutschland nicht mehr als sittenwidrig, Freier und Sexarbeiterinnen machen sich nicht strafbar. Man habe damals die Prostituierten "aus einem rechtsfreien Raum in einen rechtlichen Rahmen gebracht", sagt Thekla Walker, eine der Landesvorsitzenden der Grünen in Baden-Württemberg. "Das war sicherlich damals eine positive Absicht." Das Ausmaß, in dem sich die Sexindustrie seitdem entwickelt habe, verlange aber stärkere Regulierungen.

Die Grünen-Politikerin Thekla Walker (Foto: THOMAS KIENZLE/AFP/Getty Images)
Thekla WalkerBild: THOMAS KIENZLE/AFP/Getty Images

Walker will Prostitution nicht verbieten. Sie fordert stattdessen bessere Arbeitsbedingungen für die meist weiblichen Sexarbeiter, wie zum Beispiel regelmäßige Gesundheitskontrollen. Außerdem müsse die Polizei Bordelle kontrollieren und nach dem Wohl der dort arbeitenden Frauen schauen. Dazu haben Beamte nach der derzeitigen Lage kein Recht. "Es muss klargestellt werden, wie Prostituierte besser geschützt werden können", fordert Walker im Interview mit der DW.

Auch an bestehende EU-Richtlinien zur Bekämpfung des Menschenhandels müsse sich Deutschland noch anpassen. Im Mai 2005 verabschiedete der Europarat die Konvention gegen Menschenhandel. Deutschland trat dem Abkommen als eines der letzten Länder erst am 1. April 2013 bei. Die Konvention sieht zwingend vor, dass minderjährige Opfer von Menschenhandel ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen müssen, wenn das Kindeswohl es erfordert. Dies sei in Deutschland nach derzeitiger Gesetzlage nicht der Fall, beklagen Kritiker. Auch dürfte die Aufenthaltserlaubnis für erwachsene Opfer nicht an eine Bedingung geknüpft sein. Nach derzeitigem Recht müssen diese in einem Strafverfahren gegen ihre Peiniger aussagen.

Vertreter von Union und SPD - den wahrscheinlich kommenden Regierungsparteien - sprachen sich am Rande der aktuellen Koalitionsgesprächen für eine Verschärfung des Gesetzes von 2002 aus. In diesem Sommer sollte ein neues Gesetz Zwangsprostitution und Menschenhandel stoppen. Und scheiterte kurz vor der Bundestagswahl am rot-grün-dominierten Bundesrat.

Deutschland als Sex-Eldorado

In anderen europäischen Ländern sieht die Gesetzeslage ganz anders aus. In Schweden ist Prostitution seit 1999 komplett verboten. Bestraft werden hier aber nur die Freier und nicht die Sexarbeiterinnen. Den Kunden blüht eine Geldstrafe von mindestens 1500 Euro oder bis zu sechs Monate Freiheitsentzug. In Frankreich wurden Bordelle kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verboten. Jetzt sorgt dort eine neue Gesetzesvorlage für Aufsehen, die das schwedische Modell vorschlägt. Dagegen haben 343 Männer den Appell "Hände weg von meiner Hure" unterzeichnet, unter ihnen auch Schriftsteller, Schauspieler und der Anwalt von Dominique Strauss-Kahn.

Unter den immer strengeren Regeln in den Nachbarländern leiden deutsche Städte im Grenzgebiet. In den letzten Jahren hätte sich die Situation in ihrer Stadt leider sehr zum schlechten verändert, sagt Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, die als eine der Ersten den Anti-Prostitutionsappell der "Emma" unterzeichnet hat. Sie fürchtet, dass die Bundesrepublik zu einem "Eldorado" für käuflichen Sex wird, wenn Freier in Frankreich unter Strafe gestellt werden, in Deutschland aber weiterhin die liberalen Regeln gelten.

Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (Foto: Becker&Bredel)
Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte BritzBild: picture-alliance/dpa

Britz spricht sich in der DW für eine "einheitliche Gesetzgebung auf europäischer Ebene" aus. Die SPD-Politikerin verweist auf die immer offeneren Grenzen Europas und die Folgen der Armut in Ländern wie Bulgarien und Rumänien: "Frauen von dort sind dann bei uns auch vermehrt auf dem Straßenstrich tätig." Und ob die freiwillig kommen, ist fraglich.

Zur Prostitution gezwungen

Ein rotes, leuchtendes Neonherz an der Fassade des Bordells Sudfass in Frankfurt am Main (Foto: Wolfram Steinberg/dpa)
Mit Liebe hat das Geschäft mit der Prostitution nur wenig zu tunBild: picture-alliance/dpa/W.Steinberg

Der Anteil der Frauen, die sich selbst für die Prostitution entschieden, sei seit der EU-Osterweiterung stark zurückgegangen, hat Sabine Constabel beobachtet. "Da kamen ganz viele Frauen aus den ärmeren Ländern Europas nach Deutschland in die Prostitution." In Stuttgart gibt es ein breitgefächertes Hilfsangebot für Prostituierte: Weibliche und männliche Sexarbeiter haben jeweils eine Anlaufstelle, die Essen, medizinische Versorgung oder einfach nur einen Platz zum Reden anbieten. Constabel ist die fachliche Koordinatorin der zwei Cafés "La Strada" (für Frauen) und "Strich-Punkt" (für Männer).

Die Sozialarbeiterin des Stuttgarter Gesundheitsamtes sagt, dass die jungen Frauen oft von Familienmitgliedern oder Bekannten nach Deutschland geschickt würden. Sie müssten einen Großteil ihres Geldes in die Heimat schicken. In dem Sinne seien sie Zwangsprostituierte, egal auf welchem Weg und aus welchen Gründen sie nach Deutschland gekommen seien.

Die Frauen sagen der Sozialarbeiterin, sie halten die Prostitution nicht aus, sprechen von einer Arbeit, die sie kaputt macht. Bis zu 70 Sexarbeiterinnen kämen an einem Abend ins Café "La Strada". "Sie reagieren mit Depressionen, viele fangen an zu trinken. Sie haben große psychische Schwierigkeiten. Die Frauen wollen raus, aber gleichzeitig sagen sie auch 'Dauernd ruft meine Mama an und sagt, sie braucht Geld.' Die sind da sehr in der Verpflichtung. Außerdem kenne ich 18-Jährige, die schon zwei Kinder im Heimatland haben. Und die sagen dann 'Ich arbeite nur für meine Kinder. Ich möchte, dass sie was zu essen haben. Ich möchte, dass sie in die Schule gehen können. Ich möchte, dass sie Schulbücher haben und was anzuziehen, und deshalb bin ich hier.'"

Happy End für das "Wegwerfmädchen"

Der TV-Krimi im vergangenen Jahr wurde inspiriert durch eine wahre Geschichte in der Zeitung "Welt am Sonntag". Das echte "Wegwerfmädchen" war nur 15 Jahre alt. Yamina kam aus Nigeria, um in Deutschland ihr Glück zu finden. Stattdessen musste sie 70 Männer pro Woche bedienen. Am Ende gelang ihr die Flucht, sie kooperierte mit den Behörden und erhielt Asyl. Ein Happy End, auf das andere vergeblich warten.