Kolonialgeschichte: Mit Kunst gegen das Vergessen
8. März 2024Die Besucher drängen sich in den Räumen der Bonner Stadtvilla um Cheryl McIntoshs Werke. Ein Durchkommen ist schwierig; wer alle Installationen und Collagen sehen möchte, muss Geduld mitbringen. Die Vernissage der Ausstellung "Counter Thoughts - Counter Images" zieht viele Gäste an. Die in Jamaika geborene McIntosh arbeitet mit ihrer Kunst die koloniale Geschichte auf. Die Ausstellung ist Teil des Projektes "Aktive Erinnerungskultur" des Bonner Zentrums für Stadtgeschichte und Erinnerungskulturen.
Vergessene Geschichte
McIntosh konfrontiert die Besucher gleich im Eingangsbereich der Villa in einer Installation mit einem Zitat des späteren ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer: "Das Deutsche Reich muss unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reich selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung."
Das Zitat von 1927 dürfte den meisten Deutschen unbekannt sein. Überhaupt wüssten die Deutschen viel zu wenig über die koloniale Geschichte ihres Landes, so McIntosh: "Es müsste mehr Diskussionen darüber geben. So sollten sich Schulen mehr mit der kolonialen Geschichte befassen, damit schon die Kinder ein Bewusstsein für das entwickeln, was vor über 100 Jahren passiert ist."
Brutale Eroberungen
In Afrika war Deutschland zwischen 1885 und 1919 die drittgrößte Kolonialmacht. Zu den Kolonien gehörten das heutige Namibia, die heutigen Staaten Burundi, Ruanda und Tansania (ohne Sansibar) sowie Togo, Kamerun und Gebiete im heutigen Ghana. Widerstände schlugen die Deutschen bei der Eroberung der Kolonien brutal nieder.
Spuren dieser Zeit finden sich in Deutschland immer noch. In Bonn zum Beispiel liegt der Kolonialverbrecher Lothar von Trotha begraben. Von Trotha war als Kommandeur der Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, maßgeblich für den Völkermord an den Herero und Nama verantwortlich. Schätzungen zufolge kamen bis zu 100.000 Herero und Nama infolge der deutschen Kolonialverbrechen ums Leben.
Auf dem Bonner Friedhof findet sich keinerlei Hinweis auf die Rolle von Trothas. McIntosh erinnert in ihrer Ausstellung mit einer Darstellung des Herero-Widerstandskämpfers, Samuel Maharero, an den Völkermord. Zu seinen Füßen informiert eine Plakette, die mit Moos vom Grab von Trothas bedeckt ist, über die Gewalttaten des Kommandeurs.
Ungleiche Machtverhältnisse
Ein Besucher betont die Relevanz des Themas: "Koloniale Geschichte prägt uns noch heute und deshalb glaube ich, dass es noch immer sehr wichtig ist, darüber aufzuklären und Leute darüber zu informieren." Ein anderer Besucher erklärt im Gespräch mit der DW, wo er in erster Linie heute noch den Einfluss der Kolonialzeit sieht: "Unsere ganze Konsumwelt basiert darauf, dass wir über gewisse Zeiträume hinweg in der Lage waren, uns gut an den Ressourcen anderer Weltregionen zu bereichern oder im Tauschhandel besser abzuschneiden und das erleben wir heute noch." McIntosh greift die koloniale Ausbeutung in einer Bodeninstallation auf: Baumwolle, Zucker und Kaffee arrangiert sie hier neben einer offenbar versklavten Figur.
Kolonialismus und Rassismus
Wirtschaftsstrukturen als Folge ungleicher Machtverhältnisse - für McIntosh gehen die Auswirkungen der Kolonialzeit weit darüber hinaus: Untrennbar verbunden sei der Kolonialismus auch mit aktueller Diskriminierung in Deutschland, sagt sie. "Ich als schwarze Person wurde schon verbal attackiert. Für mich ist das ein Zeichen von Kolonialismus." Deshalb seien Rassismus und Kolonialismus von Anfang an die Triebfeder ihrer Arbeit gewesen.
Eine Besucherin, die sich viel mit dem Thema Rassismus beschäftigt, unterstreicht die Bedeutung: "Es ist auf jeden Fall klar, dass Rassismus in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielt. So wie wir aufgewachsen sind und wie die Vergangenheit ist. Es ist wichtig, dass den Leuten bewusst ist, wenn sie rassistisch denken oder handeln." McIntosh, die sich seit fast zehn Jahren in ihrer Kunst mit der Kolonialzeit und mit Rassismus beschäftigt, hofft, dass ihre Werke den Blick auf die koloniale Vergangenheit schärfen und mehr Sensibilität für die Folgen des Kolonialismus schaffen. "Ich wünsche mir, dass die Leute anfangen zu reden und sich darüber austauschen, was in der Vergangenheit passiert ist. Ich denke, wir müssen mit einem Narrativ und einer Reflexion beginnen."