Gefährliches Abwracken
1. April 2013Ein etwa sieben Kilometer langer Strandabschnitt in Bangladesch bietet Arbeit für 150.000 Menschen. Hier, in der Nähe der Stadt Chittagong, ist in den letzten vier Jahrzehnten der größte Schiffsschrottplatz der Welt entstanden. Rund 40 Prozent der jährlich weltweit außer Dienst gestellten Hochseeschiffe werden hier ausgeschlachtet, zerlegt und abgewrackt. Der Verkauf von Türen, Küchen oder Betten aus den Schiffen brummt rund um Chittagong.
Schlechte Arbeitsbedingungen auf Abwrackwerften
Nicht nur nach Bangladesch, auch in andere Länder Südostasiens wie Pakistan und Indien geht die letzte Reise vieler Schiffe. Doch das Geschäft hat seine Schattenseiten: Niedriglöhne für die Arbeiter, schlechte Sicherheitstandards und hohe Belastungen für die Umwelt durch Schadstoffe, die beim Abwracken aus den Schiffen austreten. Der Filmemacher Shaheen Dill-Riaz war 2008 vor Ort. "Es gibt Verletzungen durch herunterfallende Schiffsteile oder Seilrisse, bei denen die Arbeiter einen Arm oder ein Bein verlieren - das ist dort eigentlich Alltag", berichtet er. In seinem Film "Eisenfresser" hat Dill-Riaz, der selbst aus Bangladesch stammt und seit 1992 in Deutschland lebt, die schwierigen Arbeitsumstände aufgezeigt.
Am schlimmsten findet Dill-Riaz, dass die Regierung in Bangladesch, aber auch die europäischen Reedereien, Erstbesitzer von rund 75 Prozent aller in Südostasien abgewrackten Schiffe, tatenlos zusehen und sich nicht verantwortlich fühlen: "Man lässt ja auch ein altes Auto nicht einfach so irgendwo stehen", sagt er, "man muss die Kosten der Entsorgung da ja auch mittragen, warum soll das nicht bei Schiffen funktionieren? Es ist nur eine Frage des Willens."
EU: Reedereien beteiligen!
Die Europäische Union möchte jetzt dafür sorgen, dass europäische Reeder mit in die Verantwortung genommen werden. Bislang war es nämlich meistens so, dass die in Europa in Dienst gestellten Schiffe nach circa acht Jahren ins Nicht-EU-Ausland verkauft und erst viele Jahre später verschrottet wurden. Die Kosten trug der letzte Besitzer, nicht der Erstbesitzer. Nach dem Vorstoß einiger EU-Parlamentarier soll ein spezieller Fonds jetzt dafür sorgen, dass jeder europäische Reeder in Zukunft zusätzlich zur Hafengebühr drei Cent pro Schiffstonne zahlt, wenn er in einen EU-Hafen einfährt. Für einen 100.000-Tonner wären das also 3000 Euro, die dann an einen Abwrackbetrieb in Südostasien fließen würden, um diesen zu unterstützen. Eine Art Abwracksteuer also, die zu besseren Arbeitsumständen und einer umweltverträglichen Entsorgung beitragen soll.
Der Wille, sich an den Kosten zu beteiligen, ist bei den europäischen Reedern nicht besonders groß. "Die Tatsache, dass ein Schiff, das nach zig Jahren bei der Verschrottung landet, irgendwann mal einem deutschen Ersteigner gehört hat, heißt nicht, dass dieser Ersteigentümer dafür in Haftung genommen werden kann, wenn die Verschrottung in einer Weise läuft, die auch wir nicht für in Ordnung halten" sagt Ralf Nagel, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder. Nagel pocht auf die schnelle Durchsetzung bereits bestehender Regelungen, wie zum Beispiel der Hongkong-Konvention von 2009.
Diese legt bereits fest, dass die Abwrackung unter menschenwürdigen und umweltverträglichen Bedingungen vorgenommen werden muss. "Mit den Vorschlägen aus Brüssel wird dieses Abkommen unterlaufen", so Nagel, "und deshalb hilft man den Menschen, denen man eigentlich helfen will, überhaupt nicht auf diesem Weg." Das Problem an der Hongkong-Konvention ist nur: Kein Staat hat diese bislang ratifiziert. Einen Fonds als "EU-Solo-Lösung" lehnt Nagel ab, schon weil er nicht daran glaubt, dass das Geld wirklich in Südostasien ankommt. Und selbst wenn, sagt er, löse dies nicht das Problem: "Das EU-Parlament hat gute Absichten, aber sie würden damit maximal einige grüne Recycling-Inseln schaffen, aber keine konkrete Hilfe für die Menschen vor Ort."
Neubauten als Lösung?
Dill-Riaz sieht die Verantwortung auch bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (IMO). "Die IMO ist indirekt beteiligt an diesem Geschäft: Denn sie könnte ihre Mitglieder dazu zwingen, dass sie eine gewisse Verantwortung tragen. Sie wissen, wer diese Schiffe verkauft, auch wenn sie es nicht zugeben."
Geschlossen werden dürften die Abwrackwerften allerdings auf keinen Fall - trotz der widrigen Arbeitsumstände vor Ort. "Den Leuten das wegzunehmen wäre unfair. Die machen das seit 40, 50 Jahren. Das ist ein Wirtschaftszweig, da sind Menschen beteiligt. Man muss vor Ort eine Lösung finden." Zum Beispiel könnte man neue, moderne Abwrack-Werften bauen - die sich trotz der enormen Investitionskosten rechnen könnten, so Dill-Riaz: "Langfristig gesehen hätten die Länder dann die Standards, die man aus europäischer Sicht haben muss." Und die Menschen hätten eine sichere und umweltverträgliche Arbeit auf dem weltweit größten Schiffsschrottplatz.