In der Höhle: Wie lange macht die Psyche mit?
6. Juli 2018Deutsche Welle: Was passiert mit Jugendlichen, wenn sie so lange in einer Höhle gefangen sind?
Das Kernproblem wird das Fehlen von Tageslicht sein. Wer ausschließlich im Dunkeln lebt gerät unter Stress, weil der Schlaf- und Wach-Rhythmus gestört ist. Das hat Auswirkungen auf den Schlaf und den gesamten Biorhythmus.
Fehlendes Sonnenlicht hat mehr zur Folge als nur einen Vitamin D-Mangel. Der Mensch ist an seine Tag- und Nachtstruktur gewöhnt. Und wenn diese verloren geht, wird es noch schwieriger, mit all dem sonstigen Stress fertig zu werden.
Drohen den Kindern auch andere psychologische Schäden - etwa Alpträume oder Klaustrophobie?
Sie können tatsächlich Probleme in geschlossenen Räumen bekommen. Auch das Geräusch von Regen könnte später ein Trauma auslösen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es sie in die Falle getrieben hat. Und es kann passieren, dass sie nach dieser Erfahrung der Umwelt nicht mehr vertrauen.
Einige der Kinder können nicht schwimmen. Glauben Sie, dass sie in dieser dramatischen Situationen über sich hinauswachsen könnten?
Ja, das können Menschen. Wir nennen das die "Überlebensenergie". Man muss auch bedenken, dass diese Jungs Sportler sind. Sie sind also widerstandsfähig. Vermutlich sind sie sehr diszipliniert und ich vermute, dass sie auch diese entscheidende Situation, wie das Heraustauchen aus der Höhle, meistern können. Denn durch ihren Sport sind Sie in der Regel etwas mutiger als andere Gleichaltrige. Und es braucht Mut, in die Höhle und in die Dunkelheit zu gehen, ohne zu wissen, was kommen wird. Vielleicht haben sie also ein wenig Abenteuergeist in sich und das könnte eine Ressource sein, um mit der aktuellen Situation fertig zu werden.
Gibt es einen Unterschied wie Erwachsene und Teenager mit solchen Situationen umgehen?
Das ist schwer zu sagen. Es hängt auch mit kulturellen Unterschieden zusammen, die man zum Beispiel zwischen Europa und Asien hat. Vielleicht haben sie etwas weniger Angst als Erwachsene, weil sie wahrscheinlich nicht das ganze Ausmaß dessen verstehen, was mit ihnen passiert ist.
Sind Erwachsene vorsichtiger als Teenager?
Im Allgemeinen sind Teenager neugieriger und weniger ängstlich als Erwachsene. Das ist eine Tatsache. Also suchen sie eher das Risiko, ohne zu verstehen, was es bedeuten könnte, wenn ein Unfall passiert.
Was wäre Ihrer Meinung nach der beste Weg, diese jungen Menschen mental auf die Außenwelt vorzubereiten?
Ich denke, das Beste ist, eine Art Tageslichtstruktur in der Höhle zu installieren. Sie könnten sich an den Tag- und Nachtrhythmus gewöhnen. Wenn sie herauskommen, ist es wichtig, sie wieder mit ihren Eltern zusammenzubringen und sie von der Öffentlichkeit fernzuhalten, damit sie sich erholen können. Dafür brauchen sie einen sicheren und ruhigen Ort.
Werden die Jugendlichen noch lange nach ihrer Rettung psychologische Betreuung brauchen?
Ich würde ihnen definitiv eine anschließende psychologische Betreuung zukommen lassen, um herauszufinden, ob sie später eine weitere Behandlung benötigen. Ich würde sie mindestens einen Monat lang unter Beobachtung halten, um zu sehen, wie sie sich entwickeln. Manche haben vielleicht Probleme, andere nicht. Das ist schwer zu vorherzusehen, weil es sehr individuell ist, was das Ergebnis einer solchen Erfahrung sein könnte.
Kann eine solche Erfahrung einen Teenager für sein zukünftiges Leben stärker machen?
Wir nennen das "posttraumatisches Wachstum". Normalerweise kommt dieses Wachstum, nachdem ein Mensch sehr gestresst war und eine schwierige Zeit mit vielen psychologischen Irritationen hinter sich hat.
Aber sobald sie eine gute Behandlung haben und sozial gut aufgefangen werden, können Menschen auch einen psychologischen Nutzen aus einer solchen Horrorsituation ziehen. Die Kinder könnten beispielsweise etwas sensibler und geselliger werden. Viele erkennen vielleicht die Schönheit des Lebens deutlicher.
Prof. Dr. Brigitte Lueger-Schuster ist Psychologin und Privatdozentin am Institut für Angewandte Psychologie an der Universität Wien.
Das Interview führte Reyhaneh Azizi.