"Lasst uns Freunde sein"
29. Mai 2013Den Anfang machen sollte ein Sternmarsch von Solinger Schülern mit anschließender Kundgebung. Die offizielle Gedenkveranstaltung war dann für den Nachmittag vorgesehen. Am 29. Mai 1993 waren bei dem Brandanschlag rechter Jugendlicher auf das Wohnhaus der Familie Genç in der Unteren Wernerstraße fünf türkische Mädchen und Frauen ums Leben gekommen. Vier junge Männer wurden dafür 1995 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie inzwischen verbüßt haben.
Der Brand in Solingen war 1993 der traurige Höhepunkt einer Reihe rechtsextremistischer Anschläge in Deutschland. Die Schlagzeilen gingen um die Welt. Wo einst das Haus war, stehen heute fünf Kastanien für die Opfer, die im Alter zwischen vier und 27 Jahren ums Leben kamen. Ihre Namen sind auf einer kleinen Metallplatte in der Wohnstraße eingraviert. Mevlüde Genç verlor hier zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 14 Familienmitglieder überlebten mit teils schwersten Brandverletzungen.
Mevlüde Genç, die alte Dame, die ein Kopftuch trägt und stets türkisch spricht, besucht einmal im Monat den Ort. "Wenn sie nicht hinginge, würde sie sich nicht wohlfühlen", sagt ihr Dolmetscher einem Korrespondenten der Deutschen Presse-Agentur. Die Gençs sind nach dem Anschlag in Solingen geblieben, und die Stadt ist dankbar dafür.
"Eine Kultur der Anerkennung"
In der aufgewühlten Stimmung nach dem Brandanschlag, als wütende türkische Jugendliche durch die Stadt zogen, meldete sich das weibliche Oberhaupt der Familie zu Wort. "Lasst uns Freunde sein", sagte damals Mevlüde Genç, die selbst Opfer ist, in einem ergreifenden Appell. Seitdem tritt sie immer wieder für Verständigung und Dialog zwischen Deutschen und Türken ein. Sie hat das Bundesverdienstkreuz bekommen und den Bundespräsidenten mitgewählt.
Zum Jahrestag rief die nordrhein-westfälische Schulministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann zu gegenseitigem Respekt und Mitmenschlichkeit auf. "Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung und des Respekts", forderte die Grünen-Politikerin in Düsseldorf. In Deutschland lebten Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. "Sie alle gehören dazu, sie alle machen Deutschland aus. Diese Vielfalt ist unsere Stärke." Auch heute sei das Thema Fremdenfeindlichkeit nach wie vor von großer Aktualität, sagte die Ministerin angesichts der Mordserie der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle NSU. "Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit."
ml/SC (dpa, rtr, afp)