Morgan führt USA ins WM-Finale
3. Juli 2019Ein Ständchen in Ehren kann niemand verwehren. Das dachte sich wohl ein Großteil der knapp 60.000 Fans im Stadion in Lyon und stimmten Mitte der ersten Halbzeit ein Happy Birthday an. Kurz zuvor hatte das Geburtstagskind für die USA ihr sechstes WM-Tor erzielt. "Es war ein sehr emotionaler Geburtstag. Einer, der so endet – schöner kann man sich das nicht vorstellen", sagte US-Stürmerin Alex Morgan nach dem knappen 2:1 (2:1)-Erfolg im WM-Halbfinale gegen England.
Die Co-Kapitänin der US-Frauen war zuletzt von ihrer Teamkollegin Megan Rapinoe medial in den Schatten gestellt worden. Beide hatten bis zur Runde der letzten Vier fünf Tore erzielt. Rapinoe hatte aber mit ihrer Aussage, dass sie bei einem möglichen Titelgewinn nicht "in das verdammte Weiße Haus" gehe für große Schlagzeilen gesorgt. Beim Aufwärmen ihrer Mannschaft machte sie aber nicht mit, sah mit verschränkten Armen zu. Der Grund: Eine leichte Oberschenkelverletzung, die aber bis zum Finale auskuriert sein soll.
Christen Press für Megan Rapinoe
Die meisten Zuschauer waren nicht lange enttäuscht, dass die meinungsfreudige Rapinoe mit den pink gefärbten Haaren heute nicht auflaufen würde. Denn Christen Press, die ihren Part auf dem linken Flügel übernahm, erzielte früh die Führung für die amtierenden Weltmeisterinnen. Nach einer hohen Flanke von rechts unterschätzten gleich zwei Engländerinnen den Ball und so konnte Press relativ ungestört auf Höhe des langen Pfostens einköpfen (10. Minute).
Damit bleiben sich die US-Frauen bei diesem Turnier treu: In jedem WM-Spiel haben sie bisher in den ersten zwölf Minuten immer ein Tor erzielt. Das Team der Nationaltrainerin Jill Ellis ist bekannt dafür, aggressiv in die Anfangsviertelstunde zu gehen. Etwas entgegensetzen konnte bisher noch kein Team, selbst die Engländerinnen nicht, die ein richtig gutes Spiel ablieferten.
Morgan und White mit je sechs Toren
Und damit für große Spannung im hochklassigen Spiel bot: Ausgerechnet Ellen White sorgte für den Ausgleich (19.), die damit vorläufig in der Liste der besten WM-Torschützinnen an Morgan vorbeizog. Das dürfte die erfolgsverwöhnte Morgan gewurmt haben. Vielleicht hat es ihr nochmal einen extra Schub Motivation gegeben, um in der 31. Minute besonders hoch zu springen und den Ball mit dem Kopf zur 2:1-Führung einzunicken.
Und dann sang das Stadion das Geburtstagslied für die populärste Fußballspielerin in den USA, nein, der Welt. Eine Fußballspielerin, die Kinderbücher schreibt, die im Kinofilm "Alex and me" die Hauptrolle spielt, die 6,8 Millionen Follower bei Instagram hat, die mit ihrem rosa Haarband ihren Kampf gegen Brustkrebs demonstriert, die sich für mehr Gleichberechtigung im Sport einsetzt und zudem noch einen Fußball-Profi als Ehemann hat, kurzum: Sie ist everybody’s darling.
Turbulente Schlussminuten
Beinahe wäre Morgan der Geburtstag aber noch ordentlich vermasselt worden. Zunächst wurde den Engländerinnen das Ausgleichstor von White wegen einer hauchdünnen Abseitsstellung, die der Video-Assistent erkannte, wieder aberkannt (68.). Und dann schoss die Kapitänin der Three Lions, Steph Houghton, einen Elfmeter so schwach, dass es für Torhüterin Alyssa Naeher nicht schwer war, zu parieren (84.). Als Innenverteidigerin Millie Bright jedoch kurz vor Spielende nach einer Gelb-Roten Karte vom Platz musste (87.), konnte Morgan gedanklich schon den Sektkorken knallen lassen.
"Wir haben nicht den einfachen Weg genommen“, meinte das Geburtstagskind nach der Partie und spielte damit auf die beiden vermeintlich größten Konkurrenten auf den Weg zum vierten Titelgewinn - Frankreich im Viertelfinale und jetzt England im Halbfinale - an. "Aber jetzt sind wir endlich da." Zum fünften Mal stehen die USA damit im Finale einer Weltmeisterschaft. Ellen White ist nicht mehr dabei, Teamkollegin Megan Rapinoe liegt mit einem Tor im Rückstand. So hat Alex Morgan am Sonntag die große Chance, sich zur besten Torschützenkönigin des Turniers zu krönen. Und dann wird vermutlich wieder das Stadion für sie singen.