Gazproms Energiepoker
30. Juni 2011Das Reich des russischen Gasproduzenten Gazprom ist ein Reich der Superlative: Es besteht aus rund 160.000 Pipeline-Kilometern, etwa 1000 Tochterfirmen und 400.000 Angestellten, die im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von umgerechnet über 24 Milliarden Euro erwirtschafteten. Rund ein Sechstel des weltweit verbrauchten Gases stammt aus den Pipelines von Gazprom und macht den Konzern zum weltweit größten Gasexporteur. Auch Deutschland bekommt zurzeit etwa 40 Prozent seines Gases aus Russland und der geplante Atomausstieg wird die Nachfrage nach Gas wohl noch weiter steigen lassen.
Bislang verdient der russische Monopolist von der Förderung des Gases aus unterirdischen Gasfeldern bis zum Verkauf an große deutsche Importeure. Künftig möchte der Energiekonzern aber weiter - bis zur Gasflamme - in den Haushalten mitverdienen. "Gazprom hat sich zum Ziel gesetzt, bis an die Endkunden heranzugehen, um auch diese Stufe der Wertschöpfungskette im eigenen Unternehmen zu haben", sagt Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Nach Deutschland hat Gazprom schon vor langer Zeit seine Fühler ausgestreckt.
Russische Verflechtungen in Deutschland
So gründete Gazprom Anfang der 90er Jahre zusammen mit der BASF- Tochter Wintershall das Unternehmen Wingas, das heute rund 20 Prozent des Gases an die deutschen Endkunden leitet. Geht es nach den Russen, soll es dabei nicht bleiben. Erst kürzlich ging das Gerücht um, Gazprom könnte die angeschlagene Ruhrgas kaufen, eine Tochter des deutschen Energieriesen E.ON. Ruhrgas beliefert zurzeit rund 50 Prozent des Endkundenmarktes. Für Gazprom wäre das also ein guter Deal. Allerdings dürften sich die Kartellbehörden bei einem solchen Geschäft in den Weg stellen. "Ich bin fest überzeugt, dass ein Verkauf von Ruhrgas an Gazprom aufgrund der von der EU beschlossenen Liberalisierung des Gasmarktes unmöglich ist", meint Konstantin Simonov, Direktor des National Energy Security Fund in Moskau gegenüber DW-WORLD.DE. "Vor allem weil Gazprom ein Großaktionär der BASF-Tochter Wingas ist und Beteiligungen an anderen Versorgern hält."
Liberalisierung des Gasmarktes in Europa
Noch mehr Marktmacht werden die europäischen Kartellbehörden bei Gazprom wohl nicht zulassen. Im Gegenteil: Die augenblicklich starke Position des russischen Gasproduzenten soll noch weiter beschnitten werden und zwar über das Pipelinenetz. Lange Jahre standen sich auf dem europäischen Gasmarkt die großen Produzenten vor allem aus Russland und Norwegen und die großen Importeure wie beispielsweise Ruhrgas gegenüber. Ihren Machtbereich sichern vor allem die Pipelines. Denn wer keine Möglichkeit hat, Gas zu transportieren, kann auch kein Gas in Europa verkaufen. Daher soll das Pipelinenetz nach Wunsch der Europäischen Kommission in Zukunft auch für Produzenten, die nicht Eigentümer der Pipeline sind, zugänglich sein. Kontrolliert würde der Gastransport dann über nationale Regulierungsbehörden.
Neben der Trennung der Transportwege von den Energieerzeugern wurden auch noch Handelsplätze für Gas eingerichtet. Traditionell wurde das Gas über langfristige Verträge direkt von Produzenten an die Importeure verkauft, wobei sich der Preis am Ölpreis orientierte. In Zukunft soll immer mehr Gas an Handelspunkten ge- und verkauft werden, wo sich der Preis dann nach aktuellem Angebot und Nachfrage richtet und wo kurzfristig Gas erworben werden kann.
"Wir haben im Moment eine Zwischensituation", erklärt Jonas Grätz, von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit DW-WORLD.DE. Es gebe kein reines Oligopol mehr, da inzwischen auch andere Produzenten auf den Markt könnten, die früher nicht die Möglichkeit gehabt hätten.
Gazprom kämpft um Geschäftsfelder
Russland wehrt sich natürlich gegen die Beschneidung seiner Geschäftsfelder, möchte Ausnahmeregelungen in der EU für sein Pipelinenetz erwirken. Nebenbei plant Gazprom Pipelines in Richtung Osten, um eines Tages dem rasant wachsenden Wirtschaftsriesen China und anderen asiatischen Ländern sein Gas zu verkaufen.
Das sei aber kein Grund, sich um die Lieferungen nach Europa zu sorgen, meint Jonas Grätz. "Der europäische Gasmarkt ist für Gazprom immer noch der interessanteste und sie haben immer noch de facto gar keine Alternative als nach Europa zu liefern und hier zu investieren", so Grätz. Denn die Pipelines seien erst in Planung, so dass der chinesische Markt erst in vielleicht 20 oder 30 Jahren interessant werde.
Konkurrenz in Europa wächst
Während der eine Markt also noch lange nicht erschlossen ist, muss sich Gazprom in Europa immer mehr der Konkurrenz stellen. So hat ein Firmenkonsortium den Bau einer Pipeline namens Nabucco geplant, die Erdgas aus Zentralasien an Russland vorbei nach Europa bringen könnte.
Auch kommt inzwischen verflüssigtes Erdgas beispielsweise aus Katar über Tankschiffe auf die europäischen Handelsmärkte. Nach Entdeckung von sogenanntem unkonventionellem Erdgas in den USA haben sogar die Amerikaner - traditionelle Gasimporteure - im vergangenen Jahr erstmals kleine Mengen Gas nach Europa verschiffen können.
Das sollte Deutschland weiter nutzen, um die russische Marktmacht zu vermindern, meint Jonas Grätz. Deutschland könne beispielsweise stärker den deutschen Energiekonzern RWE unterstützen, da RWE in die Nabucco Pipeline investiert, die Gas aus Zentralasien, Irak nach Europa bringen soll. "Das wäre ja schon ein großer Schritt voran", meint Grätz. Deutschland könne auch in Terminals für verflüssigtes Erdgas investieren, dadurch könne noch mehr Gas aus anderen Ländern importiert werden. "Das wäre jetzt eigentlich eine geeignete Strategie, angesichts der Tatsache, dass wir mehr Erdgas brauchen."
Autorin: Insa Wrede
Redaktion: Henrik Böhme