Gauck in Athen
6. März 2014Als im Oktober 2012 Kanzlerin Angela Merkel in Athen war, wurden ganze Straßenzüge der Innenstadt abgesperrt, es gab Proteste. Nichts davon beim Gauck-Besuch. Zwar gilt für bestimmte Straßen und Plätze Demonstrationsverbot, aber es wird nicht protestiert. Wie griechische Journalisten erklären, war die große Medienaufmerksamkeit für den Athen-Besuch der Kanzlerin dadurch bedingt, dass Entscheidungen anstanden, ob Griechenland weiterhin Kredite erhält, ob es womöglich zu einem Schuldenschnitt kommt, ob die Kreditauflagen gemildert werden könnten.
Die Macht der Worte und der Symbolik
Um solche Fragen kümmert sich nicht der Bundespräsident, das ist Regierungspolitik. Und wahrscheinlich ist das die große Chance von Joachim Gauck, in Griechenland etwas zu bewirken, was Politiker, die aktiv Tagespolitik betreiben, schwer können: nämlich einen nachhaltigen Beitrag zu leisten, um die arg strapazierten deutsch-griechischen Beziehungen zu verbessern.
Als Bundespräsident stehen ihm zwei grundsätzliche Möglichkeiten zur Verfügung: das Wort und symbolische Handlungen. Mit letzteren hat er gleich nach seiner Ankunft in Athen begonnen. Vom Flughafen ging es direkt zur Akropolis, dem Sinnbild schlechthin für die griechische Antike. Ohne sie, das Christentum und das römische Denken, sagt Gauck am Donnerstag (06.03.2014) in seiner Rede im Akropolismuseum, sei Europa nicht vorstellbar.
Dem griechischen Präsidenten Karolos Papoulias erzählt er, die Akropolis sei für ihn ein "Sehnsuchtsbild" gewesen, dass er jetzt zum ersten Mal aufgesucht habe. Als 15-Jähriger habe er Altgriechisch in der Schule gelernt, damals in der DDR. Er habe Plato und die anderen griechischen Philosophen im Original gelesen. Dass es für ihn "Herzenswunsch" ist, hier gewesen zu sein, spürt jeder, der ihn auf der Akropolis erlebt hat: Er hört nicht nur interessiert zu, er fragt auch kundig. Es sind Fragen, die ein Bildungsbürger mit einem großen Fundus an Wissen stellt.
Empathie und Zuspruch
Die Botschaft nicht nur des Akopolis-Besuchs ist deutlich: Die Wurzeln der Zusammengehörigkeit sind viel zu tief, als dass sie die aktuellen Differenzen in Frage stellen könnten. Kontroversen unter Partnern, wird Gauck später sagen, seien etwas Normales und beide Länder blieben in Freundschaft und Solidarität miteinander verbunden. Bei seiner Rede im Akropolis-Museum bekundet er seinen "Respekt für all die Menschen, die die Lasten der Reformen tragen." Angesichts von hoher Arbeitslosigkeit und anderer sozialen Härten ruft er dazu auf, nicht in "Depression oder Fatalismus zu verfallen." Es brauche einen "langen Atem" bis "die positiven Auswirkungen von Reformen im Alltag ankommen." Bliebe Griechenland weiterhin auf den Weg der eingeschlagenen Reformen, so könne er sich "durchaus" vorstellen, dass das Land "auch dann europäische Solidarität erfährt, wenn der Gesundungsprozess länger dauert als erhofft."
Das gefällt den 17-jährigen Schülern der Deutschen Schule Athen, die an diesem Abend die Rede im Museum verfolgen. Dimitris Tsevas fand es gut, dass Gauck das Land für "reformbereit" hält, Aris Protopapas, dass er eine positive Haltung gegenüber den Griechen gezeigt hat und an das Gelingen von Veränderungen glaubt.
Der lange Schatten der Vergangenheit
Gauck hatte sich vorgenommen, auch ein immer wieder verdrängtes Thema in Griechenland anzusprechen: die deutsche Besatzungszeit während des Zweiten Weltkrieges. Am Freitag (07.03.2014) besucht er mit Papoulias dessen Heimatregion in Nordwestgriechenland. Gemeinsam suchen sie das Dorf Ligiades auf, das von den deutschen Besatzungsgruppen dem Erdboden gleich gemacht wurde, und in der Stadt Ioannina treffen sie sich mit Juden. Bei dieser Gelegenheit hat Gauck die Absicht - noch deutlicher als es bisher offizielle Vertreter Deutschlands getan haben - um Vergebung für deutsche Verbrechen in Griechenland zu bitten. Auf ein griechisches Anliegen will der Bundespräsident allerdings nicht eingehen: die Forderung nach Reparations- und Wiedergutmachungszahlungen. Er fühle sich an die rechtliche Haltung der Bundesregierung gebunden, die solche Forderungen ablehnt.
Dazu gab es - erwartungsgemäß - Kritik von Oppositionsführer Alexis Tsipras, dem Vorsitzenden der Linkspartei Syriza. Doch auch der griechische Präsident Papoulias selbst stellte in einer bislang nicht da gewesenen offiziellen Form das Thema erneut auf die Agenda der beiderseitigen Beziehungen. Auf dem Bankett zu Ehren des Bundespräsidenten bezeichnete Papoulias es als "widersprüchlich, dass das griechische Volk aufgefordert ist, bedingungslos schmerzhafte Vorbedingungen und Verpflichtungen zu erfüllen, während Deutschland sich weigert, über seine Verpflichtungen zu sprechen, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergeben." Deutschland verweigere sich Verhandlungen und einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Die deutsche Position - "es gibt kein Thema" - sei "eine Behauptung und könne nicht einseitig als endgültiges Ergebnis dargestellt werden.“ Da war er wieder, dieser lange Schatten der Vergangenheit.