Erinnern an das Ende des Grauens
26. April 2015Den britischen Soldaten bot sich ein Bild des Schreckens, als sie im April 1945 das Lager bei Celle in der Lüneburger Heide erreichten: mehr als 10.000 Leichen lagen auf dem Gelände. Allein zwischen Anfang Januar und Mitte April des letzten Kriegsjahres waren 35.000 Menschen in Bergen-Belsen an Hunger und Krankheiten gestorben. Die Überlebenden: völlig entkräftet, geschunden und traumatisiert.
Dank an die Befreier
Bei der Erinnerungsfeier auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen dankte Bundespräsident Joachim Gauck den britischen Befreiern.
"Die britischen Soldaten waren Botschafter einer demokratischen Kultur, die nicht auf Rache am Feind bedacht war, sondern dem Recht und der Menschenwürde auch in Deutschland wieder zu neuer Geltung verhelfen sollte", sagte der Bundespräsident bei seiner Rede vor rund 1000 Gästen, zu denen auch zahlreiche Überlebende zählten. Es sei sein "tief empfundenes Bedürfnis", den Befreiern von Herzen Dank zu sagen, betonte Gauck.
Warnung vor rechtsextremem Gedankengut
Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, mahnte in seinem Grußwort vor aktuellen anti-jüdischen Tendenzen und dem Erstarken rechtsextremer Parteien und Bewegungen in Europa.
So könnten in Paris, London oder Kopenhagen Juden ohne Furcht vor Anpöbelungen und Anfeindungen keine Kippa, die religiöse, jüdische Kopfbedeckung, tragen, sagte Lauder. In Griechenland und Ungarn gewännen Neo-Nazi-Parteien Sitze in den Parlamenten. Den Überlebenden sprach Lauder Dank aus: "Wir sind so stolz auf Sie! Sie wurden mit dem schlimmsten und unvorstellbarsten Grauen konfrontiert und verließen diesen Ort des Schreckens mit Würde."
Keine Toleranz gegen Rassismus
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil rief dazu auf, die Verbrechen der Nationalsozialisten niemals zu vergessen. "Mord verjährt nicht, Massenmord und Völkermord erst recht nicht", sagte der SPD-Politiker bei der Gedenkfeier. Gerade in Deutschland müsse mit aller Entschlossenheit gegen jedes Anzeichen von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit oder Rechtsextremismus vorgegangen werden. "Wenn sich Flüchtlinge vor Brandanschlägen fürchten, wenn Juden in Deutschland wieder Unsicherheit verspüren, wenn Menschen wegen ihres Glaubens ausgegrenzt werden - dann dürfen wir das nicht akzeptieren und zur Tagesordnung übergehen."
Mehr als 200.000 Häftlinge
Die Nationalsozialisten hatten das Konzentrationslager Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide während des Zweiten Weltkriegs aufgebaut. Von den mehr als 200.000 Menschen, die dorthin deportiert wurden, starben zwischen 1941 und 1945 mehr als 52.000 KZ-Häftlinge und 20.000 Kriegsgefangene.
Auch das für seine Tagebücher berühmt gewordene jüdische Mädchen Anne Frank starb in dem Lager. Zunächst war in Bergen-Belsen 1940 eine Barackensiedlung zum Kriegsgefangenenlager ausgebaut worden. 20.000 Russen wurden von Juli 1941 an dort eingesperrt. Etwa 14.000 von ihnen starben bis zum Frühjahr 1942 an Schwäche und Krankheiten oder erfroren.
Vom Kriegsgefangenen- zum Konzentrationslager
Im Frühjahr 1943 entstand auf einem Teil des Geländes das Konzentrationslager. Die SS bezeichnete es als "Aufenthaltslager" für Juden, die gegen im Ausland gefangengehaltene Deutsche ausgetauscht werden sollten. Von März 1944 an wurden in Bergen-Belsen kranke Häftlinge aus anderen Lagern untergebracht.
Außerdem wurde das Lager Ziel von Transporten und Todesmärschen aus frontnahen KZ - und war bald überfüllt. Es gab kaum Essen und häufig kein Wasser. Seuchen wie Typhus, Ruhr und Fleckfieber brachen aus.
Weitläufige Gedenkstätte
Britische Soldaten befreiten die Gefangenen am 15. April 1945. Bis Mitte Juni starben weitere 14.000 Menschen in den von den Engländern eingerichteten Krankenstationen. Im Mai 1945 evakuierten die Briten das Lager und brannten die Baracken wegen der Seuchengefahr nieder. Von den Lagerbaracken ist nichts mehr übrig, unter der weitläufigen Grünfläche der Gedenkstätte befinden sich die Massengräber.
cw/wl (dpa, epd)