Tschetschenien ist eine von mehr als 80 Teilrepubliken der Russischen Förderation. Seit 2004 regiert Ramsan Kadyrow die autonome Region praktisch wie ein Privatlehen, das nur dem Namen nach an die russischen Gesetze gebunden ist.
Elemente der Scharia sind integraler Bestandteil des örtlichen Lebens. Kritik an Ramsan, wie er in Russland genannt wird, sei es durch einen Blogeintrag oder eine harmlose Petition gegen die tschetschenischen Behörden, kann eine öffentliche Auspeitschung zur Folge haben. Das Ganze wird dann auf Youtube verbreitet.
Politische Gegner und Menschenrechtsaktivsiten verschwinden von Zeit zu Zeit spurlos. Die lokale Polizei und Truppen des Innenministeriums setzen sich zum Großteil aus Getreuen Kadyrows zusammen, aus ehemaligen separatistischen Kämpfern oder umgedrehten russischen Soldaten.
Der Preis für Stabilität
Tschetschenien wird vom Kreml finanziert. Der Fluss des Geldes ist der Preis, den Russlands Präsident Wladimir Putin für den fragilen Frieden in der explosiven Region bezahlt.
In dieser Woche organisierte Ramsan eine Massenkundgebung in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny für die Unterstützung der "verfolgten Muslime Myanmars". Die Behörden behaupten, eine Million Menschen hätten an der Demonstration teilgenommen. Zweifellos haben die meisten Demonstranten noch nie etwas von Myanmar gehört. Sie wurden von ihren Chefs, Schulleitern und Hochschuldekanen angewiesen, zu der Kundgebung zu gehen.
Wenn Kadyrow eine Demonstration abhalten will, haben die Tschetschenen keine andere Wahl als daran teilzunehmen - es sei denn, sie sind auf unangenehme Konsequenzen vorbereitet. Die einzigen beiden anderen Personen, die in Russland so viele Menschen in so kurzer Zeit auf die Straßen bekommen würden, sind Wladimir Putin und der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche.
In seiner Rede auf der Demonstration rief Kadyrow "unseren nationalen Führer Wladimir Wladimiowitsch Putin" dazu auf, wegen "der Notlage der Brüder in Myanmar zu intervenieren". Er beschuldigte den Westen zu schweigen und gleichzeitig "immer auf die Unterstützung von Schwulen zu drängen" - ein klarer Bezug auf die Urteile gegen Schwule und Lesben in Tschetschenien, die in diesem Jahr international für Schlagzeilen gesorgt hatten. Kadyrow bescherten sie in der Nordkaukasus-Region, wo sich die Islamisierung rasch ausbreitet, hingegen noch mehr Popularität.
Ein Meister in zwei Künsten
Ramsan erklärte zudem, wenn Moskau nicht auf seinen Ratschlag höre, werde er sich das Recht herausnehmen, der offiziellen außenpolitischen Linie Russlands zu "widersprechen" - und damit Putin. Jeder andere Regionalfürst würde nach einer solchen Aussage innerhalb von Stunden vom Präsidenten gefeuert. Nicht jedoch der starke Mann Tschetscheniens, der als Russlands Muslim Nummer eins gilt und mittlerweile internationale Anerkennung anstrebt.
Für einige ist sein Getue unaufrichtig. Der Tschetschenen-Präsident schweigt regelmäßig, wenn Muslime in Russland verhaftet oder unter fadenscheinigen Terrorismus-Anschuldigungen sogar gefoltert werden. Zudem haben sich hunderte, wenn nicht tausende Islamisten aus dem Nordkaukasus der Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen - trotz der Behauptung Kadyrows, den Extremismus in seiner Republik ausgerottet zu haben.
Aber Kadyrow ist Meister in zwei Künsten, die unerlässlich sind für die politische Klasse in der Putin-Ära: aggressive Rhetorik gegen den Westen und Schmeicheleien für den Präsidenten in Moskau. In Tschetschenien wehen nicht viele russische Flaggen, aber Porträts mit Putin und Kadyrow nebeneinander sind allgegenwärtig. Diejenigen, die gegen Putin - und Kadyrow - sind, bezeichnet Ramsan als "CIA-Agenten" und "dreckige Schwule".
Nützlich für den Kreml
Für den Kreml ist es weder möglich noch nötig, Kadyrow zu bremsen. Unmöglich, weil der russische Präsident zu abhängig davon ist, dass er den Nordkaukasus mit allen Mitteln ruhig hält. Unnötig, weil Ramsan mit der Einschüchterung demokratischer Oppositioneller, Menschenrechtsaktivisten und anderen jetzigen oder künftigen Gegnern für Putins Regime ein nützliches Werkzeug ist. "Wenn ihr mich nicht mögt, was haltet ihr erst von Ramsan?", scheint der Präsident seine Gegner zu fragen.
Von Kadyrow halten viele nichts. Veteranen der Tschetschenienkriege sehen in seinem Status über dem Gesetz eine Beleidigung ihrer selbst und ihrer gefallenen Kameraden. Angehörige der Mittelschicht in den Städten mögen seine Ausfälle gegen den Westen und seinen gewalttätigen Ruf nicht. Konservative orthodoxe Christen fürchten die Islamisierung Russlands. Aber so lange Putin sein Vertrauen in Kadyrow legt, sind sie gezwungen zu schweigen. Sie haben keinen eigenen "Ramsan", der für sie spricht.
Konstantin Eggert ist Kommentator und Moderator beim unabhängigen russischen TV-Sender Dozhd.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!