Grenzschließungen sind keine Lösung
Vor fast einem Jahr hat Europa in Panik erste Grenzschließungen beschlossen in der Hoffnung, so die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Jetzt muss ich mit Bedauern feststellen, dass wir quasi wieder an die gleichen Diskussionen anknüpfen, die bereits am Anfang dieser Krise geführt wurden.
Stets wurde seit dem vergangenen Frühjahr wiederholt: Das Virus macht an keinen Landesgrenzen halt. Grenzschließungen und Kontrollen zwischen EU-Mitgliedsstaaten sind keine zielführende Vorgehensweise. Deswegen haben sich die EU-Mitgliedsstaaten seither für eine stärkere Koordinierung im Kampf gegen das Virus eingesetzt, um genau solche Kurzschlussreaktionen in Zukunft zu vermeiden. Hier war vor allem der deutsche EU-Ratsvorsitz im 2. Halbjahr 2020 federführend.
Der kleine Grenzverkehr muss möglich bleiben
Jetzt bereitet das Auftreten neuer Virusvarianten, die sich allem Anschein nach schneller verbreiten - vor allem die sogenannten "britischen" und "südafrikanischen" Mutationen - zurecht Grund zur Besorgnis. Aus diesem Grund hat Deutschland an den Grenzen zu Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol vor wenigen Tagen strenge Kontrollen eingeführt. Sie beinhalten härtere Einreisemaßnahmen auch für EU-Bürger, darunter die Pflicht, einen negativen Corona-Test vorweisen zu können und sich gegebenenfalls in Quarantäne zu begeben. Auch andere Länder erwägen entsprechende Schritte an ihren Grenzen.
Es ist klar, dass in der aktuellen Situation nicht-notwendige Reisen unterlassen werden sollten. Allerdings muss in jedem Fall der notwendige, kleine Grenzverkehr weiterhin gewährleistet werden. Eine Testpflicht oder gar Quarantänemaßnahmen würden diesen lebenswichtigen Grenzverkehr quasi zum Erliegen bringen. Quer durch Europa wären hunderttausende, wenn nicht gar Millionen an Tests nötig, wöchentlich oder schlimmstenfalls sogar täglich. Kilometerlange Staus, Millionen blockierte Pendler und Waren an den Binnengrenzen wären die Folge. Das ist nicht nur unzumutbar - es ist auch nicht umsetzbar.
Ende Januar hat der Rat die Mitgliedstaaten in einer Empfehlung dazu aufgerufen, Personen die in Grenzregionen leben, die aus beruflichen Gründen, zur Bildung, aus familiären Gründen, zur medizinischen Versorgung täglich oder häufig eine Grenze überschreiten müssen, von der Testpflicht oder Quarantäneauflagen auszunehmen. Dies gilt insbesondere für Personen, die kritische Funktionen ausüben oder für kritische Infrastrukturen unentbehrlich sind. Mich überraschen daher die harschen Worte aus Berlin, wenn die EU-Kommission die Bundesregierung an diese Übereinkunft erinnert, zumal die ursprüngliche Fassung dieser Empfehlung doch vom deutschen Ratsvorsitz ausgearbeitet wurde.
Grenzschließungen richten enormen Schaden an
Diese Krise hat vor allem die Verletzlichkeit der grenzüberschreitenden Gemeinschaften in ganz Europa (fast 30 Prozent der EU-Bevölkerung zählen hierzu) gezeigt. Wo über Jahrzehnte hinweg in Grenzregionen Millionen Menschen Europa in Ihrem Alltag gelebt haben, haben die Grenzschließungen und Kontrollen einen enormen Schaden angerichtet - auf wirtschaftlicher, politischer, und auf menschlicher Ebene. Es hat uns viel Kraft und Mühe gekostet, dies zu überwinden. Aber in Luxemburg haben wir es mit unseren Nachbarländern zumindest bis jetzt geschafft, erneute Grenzschließungen wie im Frühjahr 2020 zu verhindern.
Der Schutz der öffentlichen Gesundheit ist eine Priorität für uns alle. Wir kämpfen mit diesem Virus seit mittlerweile einem Jahr, und auch 2021 wird in großen Teilen in diesem Zeichen stehen. Die Reisefreiheit ist in Europa ein Grundrecht, fest verankert in den Verträgen und in der EU-Charta der Grundrechte. Die EU-Kommission hat klargestellt: Pauschale Grenzschließungen sind nicht vereinbar mit geltendem EU-Recht. Maßnahmen, welche die Reisefreiheit einschränken, müssen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über das unbedingt Notwendige hinausgehen. In jedem Fall muss es klare und uneingeschränkte Ausnahmen für Grenzgänger und Maßnahmen zum Schutz der Grenzregionen geben.
Grenzschließungen in der EU hinterlassen Spuren. Es ist unsere Pflicht, diese schwere Prüfung zusammen zu bestehen, ohne dass unsere gemeinsame Errungenschaft Europa durch ein Rückbesinnen auf längst vergessen geglaubte nationale Reflexe dauerhaft Schaden nimmt.