Freihandel darf nicht unter die Räder kommen
Deutschland profitiert in einer beispiellosen Weise von der Offenheit seiner Wirtschaft. Das Verhältnis vom Waren- und Dienstleistungshandel zum Bruttoinlandsprodukt stieg beispielsweise von 42 Prozent im Jahr 1991 auf 71 Prozent im letzten Jahr. Jeder vierte Arbeitsplatz ist direkt von unserem Export abhängig.
Insbesondere die Entwicklungsländer haben in den letzten 20 Jahren gezeigt, dass sie dann von einer hohen Wachstums- und Entwicklungsdynamik profitieren, wenn sie sich um Handel und wirtschaftliche Integration bemühen. So hat sich beispielsweise der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, halbiert. Alleine in China hat sich die Zahl derjenigen, die von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben müssen, um 600 Millionen Menschen reduziert.
Komplexität schafft Unsicherheit
Gleichzeitig hat sich der Charakter der Globalisierung verändert. Während der letzten zwei Jahrzehnte hat eine umfassende Fragmentierung von Wertschöpfungsketten stattgefunden. Über die Hälfte der Waren- und Dienstleistungshandels entfällt mittlerweile auf Vorleistungen. Dies hat zu einer immer stärkeren Abhängigkeit nicht nur bei Rohstoffen sondern eben auch bei Vorleistungsgütern geführt. Die Importabhängigkeitsquote Deutschlands liegt daher mittlerweile bei deutlich über 30 Prozent.
Die Verwobenheit und das Zusammenwachsen von Wirtschaftsräumen hat einerseits Wohlstand in viele Teile der Welt gebracht. Gleichzeitig befördert sie jedoch auch die Ausbreitung von Krisen. Die komplexen Zusammenhänge schaffen weitere Unsicherheiten.
Ruf nach Abschottung
Der Krisenmarathon der letzten Jahre hat dazu geführt, dass der Nutzen der Globalisierung in Frage gestellt wird. Populistische Rufe nach Abschottung und Renationalisierung sind leider die Folge. Dabei zeigt die Geschichte, dass ein Rückzug aus der Globalisierung hin zu einer Renationalisierung keine Lösung für globale Probleme sein kann.
Vielmehr stellt sich die Frage, mit welchen Maßnahmen der Globalisierungsprozess begleitet werden muss, um Risiken entgegenzuwirken und Chancen optimal zu nutzen.
Das geplante Freihandelsabkommen mit der EU mit den USA (TTIP) gewinnt in diesem Zusammenhang noch einmal an Bedeutung. Die Wertewelt zwischen den USA und Europa ist fast deckungsgleich. Das ist in Bezug auf viele andere Regionen der Welt nicht der Fall, wie wir gerade bitter feststellen müssen.
"Angstindustrie 2.0"
Die Erwartungen der Wirtschaft an die geplante Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten sind groß. Und die Prognosen vieler Experten geben Ihnen Recht. Dennoch wird heutzutage in einigen EU-Ländern in den Medien das Bild vermittelt, dass mit dem Abkommen das europäische Abendland kurz vor dem Ausverkauf stünde. Auch wenn dies natürlich eine Übertreibung ist, spiegelt es das Niveau wieder, auf dem sich die zahllosen Mythen in Bezug auf das geplante Freihandelsabkommen befinden. Befeuert durch die neuen Medien, hat sich regelrecht eine "Angstindustrie 2.0" gebildet.
Wichtig ist, dass wir wieder zu einer faktenbasierten Debatte zurückkehren. Dabei sollte zu allererst daran erinnert werden, dass die Europäischen Union ihren Wohlstand zum großen Teil dem freien Handel verdankt. Die Geschichte zeigt, dass eine Politik des Protektionismus bisher immer gescheitert ist.
Wir sollten wieder mehr über die Chancen von TTIP sprechen. Gerade in Zeiten unsicherer Märkte aufgrund verschiedener internationaler Krisenherde sollte uns klar werden, dass stabile Handelsbeziehungen mit den USA von besonderer Bedeutung für die europäische Gesellschaft sind.
Wer bestimmt die Regeln?
In der Diskussion um Arbeitsplätze und Standards wird vergessen, dass es letztlich darum geht, dass die freiheitlich verfasste Welt, die derzeit noch fast die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung ausmacht, auch noch im 21. Jahrhundert die Regeln bestimmt, wie Geschäfte gemacht werden.
Gerade auch deshalb kämpfen wir gegen viele Widerstände für einen erfolgreichen Abschluss des transatlantischen Freihandelsabkommen. TTIP verleiht der EU und den USA die Chance, gemeinsame internationale Standards im Welthandel zu setzen. Jetzt können wir noch festlegen, wie wir es mit Menschenrechten wie Meinungsfreiheit, mit Kinderarbeit oder Korruption halten; TTIP bietet die vielleicht letztmalige Gelegenheit, mit gutem Beispiel voranzugehen und hohe, globale Standards zu definieren. Wir wollen uns nicht von autokratischen und autoritären Staaten diktieren lassen, wie wir unsere Geschäfte machen müssen und wie wir leben sollen.
Anton F. Börner ist seit Januar 2001 Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA). Seit 1983 leitet er als persönlich haftender Gesellschafter die Firma Börner+Co, ein mittelständisches Handelsunternehmen im Sanitärbereich mit 450 Mitarbeitern.
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