Die von Moskau geforderten Sicherheitsgarantien gegenüber der NATO sind völlig inakzeptabel. Mit dem Mitte Dezember vorgelegten Entwurf eines amerikanisch-russischen Sicherheitsabkommens versucht Wladimir Putin einen Verzicht der NATO auf eine Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens genauso zu erpressen wie auf eine NATO-Truppenstationierung in Polen und Ungarn.
Die NATO kann sich nicht von Putin vorschreiben lassen, wen sie aufnimmt und wo sie im NATO-Gebiet ihre Einheiten stationiert. Genauso absehbar war, dass Putin die aufgebaute Drohkulisse von mehr als 100.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine so bald nicht wieder reduzieren wird. Im Gegenteil: nach der OSZE-Ratssitzung bestätigte der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow nicht nur die Ergebnislosigkeit der Gespräche, sondern heizte die Drohkulisse noch einmal weiter an: er sehe keinen Grund für weitere Gespräche und wollte eine Stationierung russischen Militärs in Kuba und Venezuela nicht ausschließen.
Wichtige Erkenntnisse für den Westen
Trotz fehlender konkreter Ergebnisse lassen sich für den Westen für seinen Umgang mit Russland wichtige Rückschlüsse ziehen.
Es war richtig, dass die Biden-Administration das bilaterale Gespräch mit Moskau nicht gescheut hat, so nachrangig in ihrer globalen weltpolitischen Agenda mit außenpolitischer Konzentration auf China das Dossier "Russland" auch steht. Für Putin in seiner russischen Großmacht-Neurose war es wichtig, endlich auf Augenhöhe mit Washington wahrgenommen zu werden: Die amerikanische Russlandpolitik wird auch in Peking aufmerksam verfolgt.
Wichtig war es, dass die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman in Genf Perspektiven für Gespräche über Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen und Risikoverminderung eröffnete, die auch die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa betreffen. Die russische Antwort darauf wird zeigen, wie ernsthaft Moskau an diplomatischen Lösungen und an militärischer Abrüstung interessiert ist.
Doppelstrategie bleibt der richtige Weg
Die im Harmel-Bericht (benannt nach dem damaligen belgischen Außenminister Pierre Harmel - Anm. der Redaktion) der NATO von 1967 fixierte, westliche Doppelstrategie von Abschreckung und diplomatischer Gesprächsbereitschaft über die gemeinsamen Interessen in der Abrüstung ist immer noch die einzige sinnvolle und politisch erfolgreiche Strategie im Umgang mit Russland.
Allerdings haben die NATO und vor allem die EU die Abschreckungskomponente sträflich vernachlässigt. Die bisherigen Wirtschaftssanktionen als Antwort auf die Krim-Annexion waren viel zu kärglich. Moskau müssen Wirtschaftssanktionen angedeutet und diese notfalls auch eingesetzt werden - und zwar so, dass sie Putin und seiner kleptokratischen Nomenklatura ernsthaft schaden. Alle vorauseilenden Rücksichtnahmen auf das Putin-Regime haben sich als nutzlos erwiesen, sei es der Verzicht auf eine Aufnahme der Ukraine in den NATO-Beitrittsprozess in Bukarest 2008, das starre Festhalten an Nord Stream 2 oder die bisherigen harmlosen Wirtschaftssanktionen.
Von der EU kommt zu wenig
Die EU spielt im Verhältnis zu Russland hinter den USA nur noch eine nachgeordnete Rolle. Die Sicherheit in ihrer eigenen osteuropäischen Nachbarschaft ist sie weder willens noch fähig selbst zu gewährleisten. Deswegen erfährt die NATO trotz der vergangenen Totengesänge auf sie wieder eine ungeahnte Renaissance.
Putin strebt nichts weniger an als die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur nach dem Kalten Krieg umzustürzen und entlang ehemals sowjetischer Machtsphären ganz neu zu ordnen. Das geht nur gewaltsam. Und dazu schließt er kein Mittel der Gewalt aus, auch nicht das des direkten Krieges in Europa.
"Es besteht ein echtes Risiko für einen neuen bewaffneten Konflikt in Europa", stellte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unmissverständlich fest nach der Sitzung des NATO-Russland-Rates. Dessen sollten sich auch die Bundesregierung und jeder Bundestagsabgeordnete der SPD bewusst sein.
Der Westen muss umsichtig bleiben
Ob es eine weitere russische Invasion in die Ukraine geben wird, bleibt weiter offen. Die russische Drohkulisse bleibt bestehen oder wird gar weiter ausgebaut. Die unbeirrte und besonnene politische Solidarität des Westens in seiner Russland-Politik ist gefragter denn je. Deutsche, in Europa unabgestimmte, Eigenwege in der Außen- und Energiepolitik gegenüber Putin halten ihn nicht auf.
Dr. jur. Jörg Himmelreich ist Professeur Affilié an der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin.