Judentum und Deutschland
12. April 2013
Ido Porat, ein 33-jähriger Jude und Israeli, sitzt in einem Glaskasten in Raum Nummer sieben der Ausstellung. Auf dem Sockel der Vitrine steht: "Gibt es noch Juden in Deutschland?" Porat ist die lebende Antwort. Besucher können ihm Fragen stellen. Fragen, die sie sich sonst vielleicht nicht auszusprechen trauen. Oder die sie bisher nicht stellen konnten, weil ihnen noch nie ein Jude begegnet ist.
Porat, der sonst als Guide im Museum arbeitet, wirkt dabei ganz entspannt. Er lächelt den Besuchern aufmunternd zu, stellt sich auch mal neben die Vitrine, die ohnehin vorne geöffnet ist. Dialog ist das Stichwort, das er oft benutzt. Die Deutschen müssten lernen, ab und zu auch Dinge zuzulassen: "Es ist in Ordnung zu fragen."
Genau das will auch die Ausstellung vermitteln. 32 Fragen, auf pinkfarbene Trichter gedruckt, auf sieben Räume verteilt. Durch Gästebucheinträge und Erzählungen der Mitarbeiter hat das Museum im Laufe der Jahre Fragen gesammelt, die immer wieder gestellt werden. Zum Teil sind es allgemeine Sachfragen, die bearbeitet werden: "Was bedeuten eigentlich Menora, Davidstern und Mesusa?", oder: "Was macht Lebensmittel koscher?"
Darf man "Jude" sagen?
Andere sind komplexer. Darf man Witze über den Holocaust machen? Darf man "Jude" sagen? Die Antworten bestehen aus Installationen von Bildern, Zitaten, Filmen oder Alltagsgegenständen, oft ironisch, nie defensiv oder endgültig. Ob man einen Schlussstrich unter den Holocaust ziehen könne, wird mit einem großformatigen Foto kommentiert. Es zeigt Rina (78) und Herbert (86), in ihrer Küche sitzend. Über dem Tisch hängt ein Bild vom Eingangstor von Auschwitz. Herbert ist KZ-Überlebender. So werden die Fragen auf den Betrachter zurückgeworfen und offenbaren gleichzeitig viel über den, der sie stellt.
Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien in Potsdam, meint, es sei die Anomalie, die die Beziehung zwischen Juden und Deutschen auszeichne. Heute gebe es zwar zum Teil eine neue Offenheit gegenüber der jüdischen Kultur, aber diese sei größtenteils oberflächlich. "Folklore-Kultur" nennt er das. Man fände es zwar toll, das Musical "Fiddler on the Roof" und Klezmer-Lieder zu spielen. Aber es sei eine virtuelle Welt, "die braucht überhaupt keine Juden, keine lebenden."
Normalität bieten solche Kulturschnipsel deshalb nicht. Schoeps spricht davon, dass bei rechtsradikalen Vorfällen der Zentralrat der Juden angerufen und um Stellungnahme gebeten wird. Nicht der Polizeipräsident oder der Innenminister. "Das sind so typische Mechanismen des gestörten Verhältnisses." Gründe dafür gibt es mehrere, meint er. Zum einen seien Teile der deutschen Vergangenheit von 1933 bis 1945 nicht aufgearbeitet worden. Radikale Fragen zu stellen, sei deshalb richtig. Zum anderen leben heute nicht mehr viele Juden in Deutschland. Ihre Zahl wird auf etwa 200.000 geschätzt. Nur wenige Deutsche kennen persönlich Menschen jüdischen Glaubens.
Martine Lüdicke, eine der drei Kuratorinnen der Ausstellung, weiß, dass sich Normalität nicht verschreiben lässt. Trotzdem möchte sie erreichen, dass die Menschen nach dem Besuch mit neuen Perspektiven nach Hause gehen und sich über ihre eigenen Vorstellungen Gedanken machen. Auch, wenn sie nicht auf alle Fragen eine einfache Antwort bekommen haben.