Gabriel mahnt Wahlen im Kurdengebiet an
20. April 2017Bei seinem Aufenthalt in der Nähe von Erbil fand Bundesaußenminister Sigmar Gabriel klare Worte zur politischen Lage im nordirakischen Kurdengebiet. "Wir haben darüber gesprochen, dass es dazu kommen muss, dass wieder ein funktionsfähiges Parlament entsteht, dass Wahlen stattfinden müssen", sagte Gabriel nach einem Treffen mit dem Präsidenten der Region Kurdistan-Irak, Massud Barsani, und Ministerpräsident Netschirwan Barsani. Die politischen Kräfte in der Region müssten sich wieder auf eine normale Art der Zusammenarbeit zubewegen.
"Der Ministerpräsident hat gesagt, dass dies Aufgabe der kommenden Wochen und Monate sein wird", erklärte Gabriel. Zuletzt habe nach Darstellung Barsanis der Kampf gegen die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" im Vordergrund gestanden. "Aber er hat in diesem Gespräch deutlich gemacht, dass er die Notwendigkeit dafür sieht, nach dem Ende des Kampfes gegen den IS auch wieder zu normalen Verhältnissen zurückzukommen."
Das kurdische Regionalparlament ist seit 2015 nicht mehr arbeitsfähig, als dem Parlamentspräsidenten während einer politischen Krise der Zugang nach Erbil verweigert wurde. Seine Partei hatte es zuvor abgelehnt, die Amtszeit von Präsident Barsani zu verlängern. Diese endete im August 2015, er ist jedoch weiter an der Macht.
Vorbereitungen für Referendum
Die größten Kurdenparteien im Irak haben noch für dieses Jahr zudem ein umstrittenes Unabhängigkeitsreferendum angekündigt. Sie argumentieren, dass eine Zustimmung der Wähler ihnen Rückendeckung in den Gesprächen mit der Zentralregierung in Bagdad über mehr Selbstbestimmung geben und nicht automatisch eine Unabhängigkeitserklärung bedeuten würde.
Gabriel äußerte sich zurückhaltend. Verhandlungen über den Status des Gebietes seien eine "innerirakische Angelegenheit". Wichtig sei, dass der Dialog im Vordergrund stehe und kein bewaffneter Konflikt mit Bagdad entstehe, erklärte er.
Gabriel würdigt Peschmerga-Einsatz
Bei der Unterredung mit Barsani hob Gabriel hervor, wie groß die Bedeutung des militärischen Anti-IS-Kampfes für die Menschen in Deutschland sei. "Der Kampf der Peschmerga gegen den 'Islamischen Staat' verteidigt zugleich die Sicherheit Deutschlands." Die Peschmerga-Truppen, die von der Bundeswehr mit Waffen und Ausbildung unterstützt werden, haben die IS-Kräfte aus weiten Teilen der Region verdrängt und sind auch an der Offensive zur Rückeroberung der IS-Hochburg Mossul beteiligt. Mit der Aussage erinnerte Gabriel an einen Satz des früheren Verteidigungsministers Peter Struck, der zu Beginn des Afghanistan-Einsatzes 2002 gesagt hatte, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt.
In Erbil sind 140 deutsche Soldaten stationiert, die seit September 2014 Peschmerga-Kämpfer ausbilden. Die kurdischen Kämpfer haben zudem in großem Stil deutsche Waffen erhalten, unter anderem 20.000 Sturmgewehre, 400 Panzerfäuste und 1200 Panzerabwehrraketen. Der Bundestag hat im Januar der Verlängerung der Bundeswehrmission bis Ende Januar 2018 zugestimmt.
Barsani bedankte sich für die deutsche Unterstützung, sagte aber, dass die Ausrüstung für den Sturm auf Mossul nicht ausgereicht habe. Gabriel hatte bereits am Mittwoch dem Wunsch nach neuen Waffenlieferungen eine Absage erteilt. Er betonte, der Kampf gegen den IS sei nicht alleine militärisch zu gewinnen. Gleichzeitig müssten die Lebensbedingungen der Menschen verbessert werden. "Das ist das beste Mittel im Kampf gegen lebensverachtende Ideologien."
Besuch in Ruinenstadt Baschika
Im Anschluss besuchte Gabriel als erster deutscher Spitzenpolitiker ein irakisches Gebiet, das von der Terrororganisation IS zurückerobert wurde. In der schwer zerstörten Kleinstadt Baschika - nur 15 Kilometer von Mossul entfernt - übergab Gabriel Generatoren, Wassertanks und Räumfahrzeuge im Wert von weit mehr als einer Million Euro für den Wiederaufbau. In dem Ort ist kaum ein Haus unbeschädigt geblieben, jedes dritte ist total zerstört. "Da ist man als ein Mensch, der aus einer friedlichen Gesellschaft kommt, erst einmal total schockiert", sagte Gabriel.
Baschika war im Juni 2014 vom IS eingenommen worden. Die überwiegend christlichen und jesidischen Einwohner waren zuvor geflüchtet. Im November eroberten die Peschmerga unterstützt von Kampfflugzeugen der internationalen Anti-IS-Koalition die Stadt zurück, in der einst 35.000 Menschen wohnten. Bisher sind nur 400 Familien in den Ort zurückgekehrt.
Gabriel besichtigte bei Baschika auch einen 50 Kilometer langen Minengürtel, mit dem der IS sein Gebiet absicherte. Der Minister kritisierte, dass die internationale Gemeinschaft nur 15 Millionen Euro für die Minenräumung ausgibt. "Das ist ein relativ kleiner Betrag gemessen daran, was man helfen kann, wenn Menschen einfach wieder zurück auf ihre Felder können."
kle/sti (rtr, dpa, afp)