G7 ohne Russland - na, und?
4. Juni 2014Wenn sich die Sieger des Zweiten Weltkrieges an diesem Freitag an der Küste der Normandie treffen, um der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 zu gedenken, wird ihre Anreise deutlich kürzer als ursprünglich geplant: Die Vertreter der ehemaligen West-Alliierten kommen aus Brüssel, vom G7-Gipfel - und nicht aus Sotschi am Schwarzen Meer.
Dort hatte der Gipfel der G7 und Russland eigentlich tagen sollen, doch nach dem völkerrechtlich umstrittenen Anschluss der vormals ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim an Russland hat sich vieles geändert. Nicht nur der Ort des Treffens - Brüssel statt Sotschi. Vor allem die Besetzung ist eine andere: Die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, Japan, Kanada und den USA wollen unter sich bleiben. Russland haben sie aus Protest gegen Moskaus Ukraine-Politik ausgeladen.
Die G8 hat es strenggenommen nie gegeben
Seit 1998 gehörte Russland zur "Gruppe der acht" - diesen Begriff hatte man lieber benutzt als "G8". Allerdings war schon in den Jahren davor der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow als Belohnung für seine Reformpolitik und seine vorsichtige Annäherung an den Westen dazu geladen worden. Die Gruppe war aber genau genommen, präzisiert Sabine Fischer, Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, "nie G8 sondern immer nur G7/G8. Denn Russland war nicht Teil der Finanzverhandlungen, die im Namen dieser Gruppe geführt worden sind."
Wie bei vielen Gipfeltreffen wird die eigentliche Arbeit auf einer Ebene eine oder zwei Stufen unter den Chefs erledigt: bei den Staatssekretären oder den Ministern. Und wenn sich die Finanzminister der G7 trafen, mussten die Russen immer draußen bleiben.
Ein Stich - mehr nicht
Die Absage an Sotschi sollte auch Wladimir Putin selbst treffen. Denn der sehr aufwändige und teure Umbau des Sommerkurortes in eine Wintersportstadt und ein internationales Kongresszentrum ist auf seine persönliche Initiative hin erfolgt. Sabine Fischer hält die Gipfelabsage für einen gegen Wladimir Putin gerichteten "Affront und der ist Russlands Reputation auf der internationalen Bühne sicher nicht zuträglich".
Allerdings habe Putin diese Demütigung äußerlich scheinbar ungerührt weggesteckt. Fischer erinnert an einen Fernsehauftritt des Moskauer Staatschefs: "Da wurde er gefragt: Was sagen Sie dazu, dass die westlichen Regierungschefs ihre Teilnahme am Gipfel abgesagt haben? Da hat er mit den Schultern gezuckt und gesagt: 'Na und?'"
Patrick Rosenow, Politikwissenschaftler an der Universität Jena, weist darauf hin, dass Moskau nicht unbedingt auf die G7/G8 angewiesen sei, denn "viele andere Gremien, in denen Russland tätig ist, sind nach wie vor sehr wichtig. Wie zum Beispiel der UNO-Sicherheitsrat oder die Gruppe der G20, die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Diese Absage scheint Russland ja momentan nicht richtig zu stören."
Im Gegenteil: Die Ausladung spiele Putin geradezu in die Karten, meint Sabine Fischer. In Moskau herrsche offenbar die Ansicht: "Wir brauchen im Grunde genommen diese engen Beziehungen zum Westen nicht mehr, wir stehen für uns selbst. Wir wenden uns nach Asien und suchen nach enger Partnerschaft mit China."
Russlands Zukunft im Osten
Putin habe "in seiner Außenpolitik der vergangenen zehn Jahre versucht, ein Gegengewicht zum Westen zu bilden", betont Patrick Rosenow. Und das hätte er schon erreicht, wenn er jetzt sagen könne: "Die G7 ist nur ein Klub aus westlichen Staaten und wir wollen mit denen nichts zu tun haben."
Zwei Indizien scheinen diesen Standpunkt zu bestätigen: Der Abschluss eines Gasliefervertrages mit China und besonders die Gründung der Eurasischen Wirtschaftszone. Der Versuch, "mit Weißrussland und Kasachstan eine Wirtschaftsunion im Osten Europas zu etablieren, zeigt, dass Putin an einer stärkeren Westbindung Russlands nicht interessiert ist, sondern dass er sich mehrere Optionen schaffen will, um seine Einflussmöglichkeiten weltweit auszubauen".
Die Ausladung als Königsweg
Sich Möglichkeiten offenhalten wollen auch die sieben Industriestaaten: Der Ausschluss Russlands von den G7-Gesprächen ist "eine Gratwanderung zwischen Sanktionen und dem Bemühen, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen", so Patrick Rosenow. Insgesamt hält er den Schritt "für einen guten Kompromiss, um diesem Dilemma zu begegnen".
Falsch machen konnten die G7 sowieso nichts, fügt der Politikwissenschaftler hinzu. Ihre Gruppe sei schließlich nur ein vergleichsweise lockerer Zusammenschluss, in den könne "Russland sofort wieder aufgenommen werden. Der Vorteil dieser Maßnahme ist, dass sie so flexibel ist." Sie könne im aktuellen Konflikt sogar ein diplomatischer Königsweg sein, "weil sie Optionen offen lässt und nicht alles einschränkt".