Wirtschaft drängt auf freien Handel
2. Mai 2017Der Countdown läuft. Anfang Juli werden sich die Staats- und Regierungschefs der G20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zu einem Gipfel treffen. In Hamburg wird das sein, denn Deutschland hat innerhalb der G20 in diesem Jahr die Präsidentschaft inne. Was auf dem Gipfel beschlossen wird, darüber wird derzeit debattiert, gestritten und verhandelt. Zahlreiche Arbeitsgruppen bereiten die Gipfel-Agenda vor. Gesellschaftliche Gruppen bringen ihre Interessen ein.
Natürlich ist auch die Wirtschaft aktiv. B20 (Business20) heißt das Gremium, in dem sich die nationalen Wirtschaftsverbände und Unternehmen zusammengeschlossen haben. 6,8 Millionen Unternehmen vertreten sie nach eigenem Bekunden. Was denen auf der Seele brennt, wird auf dem B20-Summit deutlich, einem zweitägigen Treffen, zu dem rund 2500 Wirtschaftsvertreter nach Berlin gekommen sind. Was wird aus der Weltwirtschaft? Wohin steuert sie in einer Zeit, in der vieles von dem, was vor ein paar Jahren noch selbstverständlich schien, in Frage steht?
Niemand will sich festlegen
"Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass die G20 in den nächsten fünf Jahren ein Wirtschaftswachstum erreichen, das widerstandsfähig, zukunftsorientiert und integrativ ist, also hohe Beschäftigung sowie wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt garantiert?", fragt die Moderatorin auf dem B20-Summit eine Runde von Wirtschaftsbossen, die mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf einem Podium sitzen. Man möge für die Antwort doch bitte eine Skala von eins bis zehn bemühen, gibt die Moderatorin vor. Die meisten entscheiden sich für eine fünf und damit für das sowohl als auch. Im Moment weiß offenbar selbst das Führungspersonal nicht so richtig, wohin der Zug fahren wird.
Auch Wolfgang Schäuble wählt die fünf gibt damit wenig Anlass für Hoffnung. Seit Wochen warnt der Finanzminister vor Risiken, denen er das weltweite Finanzsystem, aber auch die Wirtschaft ausgesetzt sieht. Auf dem B20-Gipfel spricht er über das extrem billige Geld, das weiterhin auf die Märkte gepumpt wird, über Nationalismus und Abschottung. Die ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken berge neue Risiken. "Wir müssen die aktuelle Geldpolitik rechtzeitig beenden und zu einem normaleren Kurs zurückkehren." Schäuble spricht von "unangemessener Risikobereitschaft", von "politischer Selbstzufriedenheit" und "Preisblasen".
Der Ärger mit der Globalisierung
Wenn man aus der Vergangenheit etwas gelernt habe, dann dass Nationalismus und Protektionismus nicht die richtigen Antworten seien. "Wir können uns nicht von den Problemen der Welt abschneiden." Mehr als je zuvor, brauche die Welt heute global geltende Regeln. Die G20 seien seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise das wichtigste und das effektivste Forum gewesen, um solche Regeln aufzustellen. "Die Welt ist seitdem nicht leichter geworden, aber wir können die Uhr nicht zurückspulen und die Globalisierung umkehren." Auch wenn das manche denken würden, fügt Schäuble hinzu, ohne US-Präsident Donald Trump direkt zu nennen. Der sieht den freien Welthandel bekanntlich kritisch und hat angekündigt, die US-Wirtschaft stärker vor ausländischer Konkurrenz schützen zu wollen.
Es gebe im G20-Kreis durchaus Differenzen in vielen Themen, sagte Schäuble. Entscheidend sei aber, dass die Gesprächskanäle offen blieben und Schritt für Schritt Fortschritte erzielt würden. "Wir können die Globalisierung zum Besseren gestalten und das ist der Gedanke, der hinter der deutschen G20-Präsidentschaft steht", so Schäuble.
Der Fokus müsse auf der Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften liegen und auf der Verbesserung der Investitionsbedingungen, vor allem auch in Afrika. Die Digitalisierung müsse weiter vorangetrieben und in Form gebracht werden. "Wir müssen unsere Wirtschaft robuster machen", so der Finanzminister. "Die Welt spürt immer noch die Auswirkungen der letzten Finanzkrise und wir können die Möglichkeit weiterer Turbulenzen nicht ausschließen."
Welche Rolle spielen die Banken?
Weltweit seien die öffentlichen und die privaten Schulden auf ein historisches Hoch gestiegen. Dagegen müsse etwas unternommen werden, denn die Fähigkeit vieler Länder, auf eine zukünftige Krise zu reagieren, werde durch hohe Schuldenstände stark behindert. "Wir müssen allmählich die Verschuldung reduzieren und aufhören, auf das Wachstum zu verzichten, das durch den kreditfinanzierten Konsum angeheizt wird." Das erfordere eine wachstumsfreundliche Konsolidierung, eine Bereinigung des Banken-Sektors und weitere Strukturreformen.
Beim Stichwort Banken fühlt sich John Cryan angesprochen. Wie Schäuble sitzt auch der Chef der Deutschen Bank beim B20-Gipfel auf dem Podium und wehrt sich gegen den Vorwurf, die Banken würden sich bei der Finanzierung der Wirtschaft zu sehr zurückhalten. Dafür gebe es Gründe. Einer sei, dass die Finanzmarktregulierung dazu geführt habe, dass Banken keine Risiken mehr eingehen könnten. "Die Regeln müssen überprüft werden, damit Banken wieder eine effektive Rolle in der Wirtschaft und in der Gesellschaft spielen können."
Am Mittwoch kommt die Kanzlerin
Acht Diskussionsrunden stehen in den zwei Tagen des B20-Gipfels auf der Tagesordnung. Neben der Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft und der Finanzmärkte geht es um Digitalisierung, Verantwortung, Handel, Klima und Energie. Am Mittwoch wird Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Unternehmern sprechen und eine Liste von Forderungen entgegennehmen, die nach Ansicht der Wirtschaftsvertreter unbedingt in den G20-Prozess einfließen sollen. Man kann davon ausgehen, dass die Kanzlerin die Agenda mit großer Aufmerksamkeit lesen wird. Denn ohne eine funktionierende Wirtschaft kann auch die Politik wenig ausrichten.