G20 gegen Hunger
15. Juni 2012Besonders dramatisch ist die Situation in Westafrika, wo allein 18 Millionen Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Doch ihr Leid könnte ins Hintertreffen geraten auf dem G20-Gipfel, dem Treffen der 20 stärksten Volkswirtschaften am Montag und Dienstag im mexikanischen Los Cabos. Und das, obwohl das Thema Nahrungsmittelsicherheit nach dem Willen der mexikanischen Gastgeber und derzeitigen G20-Vorsitzenden eine zentrale Rolle spielen soll. Die Diskussionen über die Euro-Schuldenkrise könnten alles andere in den Schatten stellen.
Wie sehr die weltweite Finanzkrise die ärmsten Länder auch direkt trifft, zeigt sich zum Beispiel in dem versiegenden Kapitalfluss. Flossen in der zweiten Jahreshälfte 2010 noch 309 Milliarden US Dollar in Richtung Entwicklungsländer, waren es im gleichen Zeitraum 2011 nur noch 170 Milliarden. In Los Cabos müssten die Wirtschaften aller Länder unterstützt werden, nicht nur die der großen, forderte Neil Watkins von Action Aid USA in einer Telefonkonferenz mit Journalisten.
Gegen Biosprit-Subventionen
Die wichtigste Maßnahme gegen die Hungerkrise, sagte Watkins, sei die Änderung der Biosprit-Politik. Nach einer Untersuchung seiner Organisation hätte die steigende Maisproduktion in den USA die Importpreise für Nahrungsmittel in Mexiko in die Höhe schnellen lassen. "Zwischen 2005 und 2011 sind die Preise für Tortillas um nahezu 70 Prozent gestiegen, seit 2005 hat die Ethanol-Verbreitung in den USA Mexiko bis zu 500 Millionen US Dollar pro Jahr in höheren Maispreisen gekostet." Bereits im letzten Jahr hätte es eine Experten-Empfehlung an die G20 gegeben, die Subventionen für Biosprit abzuschaffen, um die Nahrungsmittelpreise zu stabilisieren. Bisher sei aber nichts geschehen, bemängelte Watkins. In Los Cabos müsse gehandelt werden.
Die Hilfsorganisationen hoffen, dass beim G20-Treffen die Brücken geschlagen werden. Adam Taylor von World Vision gab zu bedenken, dass die G20 noch ein junges Forum ist – sie trafen sich 2008 zum ersten Mal: "Ich glaube, es gibt Grund zur Hoffnung, dass die G20 den Schwerpunkt auf umfassendes Wachstum setzen und dass sie Probleme wie Unterernährung und Hunger angehen", sagte er, "und erkennen, dass das notwendig ist, um wirtschaftliches Wachstum kurzfristig und langfristig zu stimulieren."
Es sei klar, erklärte Carlos Sere, vom Internationalen Fond für Landwirtschaftsentwicklung (IFAD) in Rom in einem Telefoninterview mit DW, dass Nahrungsmittelsicherheit in den Entwicklungsländern in dieser vernetzten Welt auch im Interesse etwa der Europäer oder Nordamerikaner sei.
Nahrung als Grundlage für Frieden
Sere erinnerte daran, dass der arabischen Frühling in Tunesien mit der Selbstverbrennung eines Lebensmittelverkäufers begonnen hatte. "Nahrung ist eine Grundlage für den Frieden", erklärte er. Es gelte, vor allem Kleinbauern zu unterstützen, die für den Erhalt von natürlichen Ressourcen sorgen. "Wenn wir über Klima- und Umweltschutz reden, dann müssen wir über die Probleme von Kleinbauern reden," forderte er, und erklärte, arme und reiche Länder würden alle im selben Boot sitzen: "Wenn wir uns nicht um Nahrungsmittelsicherheit in Entwicklungsländern kümmern, könnte das beispielsweise in Europa zu einem ernsthaften Migrationsproblem führen."
Shenggen Fan, Generaldirektor des Forschungsinstitut für Internationale Lebensmittelpolitik (IFPRI) in Washington erhofft sich von Los Cabos weniger neue Initiativen als vielmehr, dass die Versprechen der Vergangenheit in Taten umgesetzt werden. Im Interview mit DW verwies er auf den Kampf gegen Exportverbote für Lebensmittel, weil diese die Nahrungsmittelpreise in Krisenzeiten noch weiter in die Höhe treiben.
An die Deutschen, die besonders gut in der landwirtschaftlichen Forschungsarbeit seien, hat er einen besondern Wunsch: "Ich hoffe, zum einen, dass Deutschland seine Erfahrungen und Technologien mit Entwicklungsländern teilt, damit dort mehr Nahrung produziert werden kann." Außerdem sei Deutschland vorbildhaft in der effizienten Ausnutzung von natürlichen Ressourcen, auch hier könnten andere Länder von dem Wissen der Deutschen profitieren.
Forderungen und erste Erfolge
Für wichtig halten die Experten, Mechanismen einzurichten, mit denen nachgehalten werden kann, ob Versprechen auch eingehalten werden – und die Integration des Privatsektors. Hier gibt es allerdings die Sorge, dass die Unternehmen vor allem an eigenen Gewinnen interessiert seien. Regierungen sollten deshalb Regeln aufstellen. "Land grabbing" wie etwa die Chinesen oder Inder es betrieben, müsse verhindert werden, mahnt Fan und erklärt, was es damit auf sich hat: "Sie erwerben Land in Afrika, Südasien, Lateinamerika, und bringen die darauf produzierten Nahrungsmittel in die eigenen Länder."
David Hallam, Direktor für Handel und Märkte bei der FAO, der Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation der UN in Rom, weist auf eine Initiative der G20 hin, die bereitts erfolgreich sei: AMIS, das Informationssystem für den Agrarmarkt, das 2011 beschlossen wurde. Die Idee dazu sei ihm gekommen, erklärte er im Interview mit DW, bei der Beobachtung der Reispreise die 2007/2008 weltweit verrückt spielten, obwohl es keinen wirklichen Grund dafür gab. "Es waren die Folgen von fehlenden Informationen über die tatsächliche Marktsituation", führt er aus. Daraus resultierte eine falsche Politik, was die Lage verschlimmerte, es kam zu Panikkäufen, einige Länder verhängten Ausfuhrstopps.
Durch das von den G20 initiierte AMIS können verlässliche Informationen über die Märkte ausgetauscht und die Marktpolitik koordiniert werden. Das laufe sehr gut, sagt Hallam. Neben den G20-Staaten gehören AMIS Länder wie Ägypten und Nigeria an, erklärt Hallam, große Nahrungsmittelproduzenten oder -Importeure. Hallam zeigte sich zufrieden mit dem G20 Gipfel im letzten Jahr. Das Treffen im letzten Jahr hätte Lebensmittelsicherheit immerhin prominent auf die Tagesordnung gehoben – und das, zumindest, erwartet er auch wieder vom diesjährigen Treffen.