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Götterdämmerung für einen Ölgötzen

Claus Hecking17. Juni 2003

Es läuft und läuft, das Fließband im mexikanischen Puebla. 53 VW-Käfer spuckt es Tag für Tag aus, doch bald hält es für immer an. Damit endet ein Stück Nachkriegsgeschichte - denn der Käfer ist mehr als nur ein Auto.

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Eine Deutsche und ihr Wirtschaftswunder-KindBild: AP

Es ist lange her, dass die "New York Times" so eine gute Schlagzeile produziert hat: "Shiny little beetle" nannte sie 1938 das kugelförmige Auto mit dem merkwürdigen Namen, das ein Diktator namens Adolf Hitler im fernen Europa seinem Volk versprochen hatte. Und so dauerte es nicht lange, da titulierten auch die Deutschen den von Ferdinand Porsche entworfenen "Kraft-durch-Freude-Wagen" nur noch liebevoll als "Käfer". Vier Sitzplätze, 100 km/h Spitze, das alles für 990 Reichsmark, Hakenkreuz auf dem Bremspedal inklusive – mit diesem verlockenden Angebot hatte Hitler seine Untertanen verführt, frei nach dem Motto: Ein Volk - ein Reich - ein Auto.

Hitler eröffnet VW-Werke Volkswagen
Redselig: Hitler bei der Eröffnung des VW-Werks in Kraft-durch-Freude-Stadt, dem späteren WolfsburgBild: AP

Doch letzteres nahmen die Nationalsozialisten offenbar sehr wörtlich. Denn als Deutschland in Schutt und Asche gelegt war, waren nur 650 KdF-Wagen gebaut worden – und das fast ausschließlich für Partei-Funktionäre. Die exakt 336.668 Sparer, die Woche für Woche "Anrechtsgutscheine" erworben und gewissenhaft in ihre Sparkarten geklebt hatten, waren um einige hundert Mark ärmer – und um eine bittere Erfahrung reicher.

Kugelporsche mit 25 PS

Das Urteil der britischen Besatzer fiel vernichtend aus: "Mehr Fehler als ein Hund Flöhe" habe der Wagen der Krauts, urteilten sie – und ließen die Produktion drei Monate später trotzdem wieder aufnehmen. Fortan gehörte der Käfer zum Nachkriegsdeutschland wie Nierentische, Heinz-Erhardt-Filme, das Wunder von Bern oder Conny Froboess: Badehose eingepackt, kleines Schwesterchen dazu – und dann nischt wie auf zum Gardasee. Denn über den Brenner schaffte es die Kleinfamilienkutsche fast immer, trotz 25 PS und notfalls mit Schrittgeschwindigkeit. Teutonische Wertarbeit eben.

Der VW Käfer Plakat
Attraktiv und preiswert: Der KäferBild: AP

Für die Deutschen war ihr "Kugelporsche" ein Stückchen weite, heile Welt. Dass sie wegen des zweigeteilten Brezelfensters am Heck und der ewig beschlagenen Vorderscheibe nur selten den richtigen Durchblick hatten, störte sie ebenso wenig wie der Umstand, dass sie für einen Batteriewechsel gleich die gesamte Rückbank ausbauen mussten. Denn der Käfer war wie das Adenauer-Deutschland: schnörkellos und ein wenig bieder, aber zuverlässig und unverwüstlich. "Er gehört zur Familie", sagte einst Heinz Erhardt, der "Komiker der Nachkriegsdeutschen".

Das Flower-Power-Mobil

Letzter VW Käfer in Wolfsburg
1974: Der letzte WolfsburgerBild: AP

Nachdem eine Umfrage ergeben hatte, dass sich viele Menschen von den Scheinwerferaugen des Zweitürers an ein scheues Tier erinnert fühlten, entdeckten auch die Macher der bunten Bilder den Käfer. In Deutschland testete Moderator Fred Rauch in der Spielshow "Die ideale Frau" die Kandidatinnen auf ihre hausfraulichen Fähigkeiten, um dem besten aller Heimchen eine "rollende Handtasche" zu schenken. Hollywood widmete dem fliegenden, schwimmenden und weinenden Wunderauto "Herbie" sogar eine Spielfilmreihe. Was zur Folge hatte, dass auch die Hippies den Käfer als Kultauto entdeckten und die einstige Faschistendroschke mit bunten Farben in ein Blumenmobil verwandelten. Dass das gute Stück bis zu 15 Liter Benzin auf 100 Kilometer und jede Menge Öl schluckte, störte in diesen glücklichen Tagen niemanden.

Neue Heimat Mexiko

Erst mit der Ölkrise begann die Götterdämmerung für den Ölgötzen. Unter Blasmusik rollte 1978 in Emden der letzten deutsche Käfer vom Band; fortan wurde das wohl deutscheste aller Autos nur noch in Mexiko produziert. In den Folgejahren schieden unbarmherzige TÜV-Kontrolleure unzählige glückliche Mensch-Käfer-Ehen. Die Begeisterung der Deutschen für das 1998 lancierte Käfer-Nachfolgermodell Beetle hielt sich dagegen in Grenzen – schließlich hatte der fast 40.000 Mark teure Beetle so viel mit dem Käfer zu tun wie Katja Flint mit Marlene Dietrich.

VW Käfer als Taxi in Mexiko City
Neue Heimat: Käfer-Taxi in Mexico CityBild: AP

Das Verkehrsdezernat von Mexiko City versetzte dem Käfer nun den finalen Todesstoß. Die rund 100.000 grünen Käfer-Taxis in Mexikos Hauptstadt seien weder sicher noch umweltfreundlich, befand die Behörde im Januar – und erteilte fortan keine neuen Zulassungen mehr für die Zweitürer. Daraufhin brach die Nachfrage nach dem Käfer ein, auf zuletzt weniger als 1000 Exemplare pro Monat. Und so stellte Volkswagen auch in Puebla die Produktion ein, nach mehr als 21 Millionen Käfern. Doch bis zum endgültigen Aussterben der bedrohten Spezies Auto dürften noch viele Jahre vergehen. Denn der Käfer läuft und läuft und läuft.