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Politik

Verschwörungstheorien im Aufwind

Alexander Görlach
12. Mai 2020

Vor fünf Jahren wurde über die "Umvolkung" schwadroniert, nun wollen dunkle Mächte die Weltherrschaft an sich reißen. Doch zwei zentrale Punkte der aktuellen Verschwörungstheorien sind neu, meint Alexander Görlach.

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Zitat von Prof. Dr. Alexander Görlach

Verschwörungstheorien sind nicht nur im Aufwind, sie haben auch die gesellschaftliche Mitte erreicht. Hierfür haben die vergangenen Tage, wenn schon keine ausreichende empirische, so doch eine anekdotische Evidenz geliefert: Meine Timeline auf Facebook ist nun voll mit Äußerungen, die sich gegen Virologen, gegen Bill Gates, gegen Impfungen, gegen Angela Merkel und gegen die Auflagen in der Corona-Pandemie richten.

Zahlreiche Zeitgenossen sind über Nacht zu genau solchen Experten mutiert, die sie eigentlich als Feind ausgemacht haben. Offenkundig gilt die Ablehnung allerdings nur jenen Experten, die eine andere Meinung haben. Davon einmal abgesehen, werden diejenigen, die auf Facebook eine Meinung posten, dadurch nicht automatisch zu Experten - auch wenn sie sich das so wünschen.

Stuttgart Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen
Bill Gates hat Schuld an der Corona-Pandemie - so eine gängige Behauptung unter VerschwörungstheoretikernBild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Parallelen zur Flüchtlingskrise 2015

Verschwörungstheorien hatten im Zuge der Flüchtlingskrise bereits im Jahr 2015 in Deutschland mächtig Fuß gefasst. Die Bundeskanzlerin habe, so wurde damals behauptet, im Geheimen eine "Umvolkung" Deutschlands geplant und mit Absicht das Land mit Menschen "aus dem Orient durchsetzt". Auch seinerzeit war bereits eine Weltverschwörung vermutet worden. Seitdem fällt immer wieder der Name des Milliardärs und Philanthropen George Soros, der wiederum als Beleg einer jüdischen Weltverschwörung herangezogen wird. Garniert wird das Ganze von den sogenannten "Reichsbürgern", die der Bundesrepublik jede Legitimität absprechen und sich eigene Ausweisdokumente ausstellen.

Berlin Hygiene-Demo Protest gegen Corona-Regeln
Als Reptiloiden verkleidete Männer machen sich über Demonstranten gegen die Corona-Regeln in Berlin lustigBild: picture-alliance/dpa/F. Sommer

Etliches von diesen Verschwörungstheorien war so traurig, dass es am Ende schon wieder lustig war. Gleichzeitig hatte ich nicht das Gefühl, dass sich die Schlinge der Verschwörer um mich herum immer enger zieht. Das ist dieses Mal anders. Warum? Vielleicht weil die COVID-19-Pandemie wirklich jeden - alle - trifft. Niemand bleibt davon unberührt: Kinder können nicht in den Hort, den Kindergarten, die Schule. Eltern müssen sie zuhause betreuen und sind dort auch weiter für den Broterwerb zuständig. Der Universitätsbetrieb ist eingestellt. Vom Restaurant bis zum Friseursalon sind seit Wochen alle Geschäfte stillgelegt. Existenzen werden vernichtet, auch wenn jetzt in vielen Ländern stufenweise immer mehr Branchen wieder öffnen dürfen. Wer krank ist, aber kein COVID-19 hat, muss auf seine Operation warten. Wer alt ist, kann seine Verwandten und Freunde nicht mehr sehen. Und jene, die an der Infektion sterben, sterben alleine einen langsamen Erstickungstod.

Kann denn das wirklich sein? Kann ein Virus uns wirklich so etwas antun? Dem Großteil der Gesellschaft, die das mit einem Seufzer und vielleicht sogar mit Tränen in den Augen bejaht, steht eine krakeelende Masse gegenüber, die sich, dicht an dicht, auf öffentlichen Plätzen aufbaut und dort lautstark das Ende der Quarantäne fordert. Sie eint der feste Glaube, dass "die da oben" mit dem Bösen im Bunde seien. 2015 konnten diejenigen auf den Plan treten, die schon immer gegen Zuwanderung waren. Nicht die Fakten standen zur Disposition, sondern der Plan der Politik, wie sie mit der Tatsache von rund einer Million Flüchtlingen umging, stand in der Kritik.

Zweifel an den grundlegenden Fakten

Heute geht es in erster Linie um Fakten - die Ausbreitung eines Virus. Und schon an diesem Punkt scheint es keine Einigkeit mehr zu geben: Für manche ist COVID-19 nicht schlimmer als die saisonale Grippe. Andere setzen auf die Position einer kleinen Minderheit im Konzert der internationalen Gemeinschaft - auf die Herdenimmunität. Andere - eine solche Bewegung gibt es schon länger - lehnen jede Impfung als nutzlos ab. Obwohl es doch noch nicht einmal einen Impfstoff gegen die Krankheit gibt.

Stuttgart Querdenken  Corona-Demonstration
5000 Teilnehmer bei der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 9. Mai in StuttgartBild: Imago Images/Eibner

Was bedeutet es, wenn sich eine Gesellschaft schon nicht mehr auf die grundlegenden Fakten einigen kann? Dann wird ihr, falls das nicht schon gesehen ist, über kurz oder lang jeder Ort und jede Institution fehlen, die Öffentlichkeit herstellen und die Diskussion über verschiedene Deutungsmöglichkeiten von Fakten moderieren kann. Dieses Virus hat in Deutschland inzwischen jeden gesellschaftlichen Bereich erfasst: Selbst ein kleiner Kreis hochrangiger katholischer Bischöfe veröffentlichte einen Brief, in dem etwas von "Weltregierung" gefaselt wurde.

Für die Autokraten, die in den vergangenen Jahren Experten diskreditiert und Eliten herabgewürdigt haben, ist dieses Spektakel ein Fest. Die Menschen, so werden sie sich freuen, haben sich erfolgreich von ihnen einfangen lassen. Nicht mehr der Bildung wird ein Hohelied gesungen, sondern die Schalmei gezückt und dem starken Mann lobpreisende Strophen dargebracht. Verlacht wird die Bescheidenheit, mit der das Wissen für gewöhnlich auftritt, und statt dessen das prahlende Gerücht verherrlicht. Am Ende werden so Dummheit und Aberglaube zu den Sargnägeln unserer Demokratie. Mit dem Coronavirus hat dieser Untergang nichts zu tun, sondern mit dem Gift, das uns Populisten seit Jahren eingeträufelt haben.

Alexander Görlach lebt in New York und ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.