Für Freiheit - gegen Missbrauch
25. Juni 2012"Wir wollen verhindern, dass inhaftierte Aktivisten in Syrien zu statistischem Zahlenmaterial degradiert werden", sagt die junge syrische Bloggerin, die sich Sham nennt, am Telefon. Sham ist Mit-Initiatorin der Kampagne "Free Razan Ghazzawi". Die Facebook-Seite gibt politisch Verfolgten des Assad-Regimes ein Gesicht, mobilisiert internationale Solidarität und Unterstützung. Eine ganze Reihe von syrischen Bloggern arbeitet für das Projekt, darunter von Beginn an auch Sham. Sie lebt zwar in den USA, will ihren echten Namen aber trotzdem nicht nennen. Um sich nicht über Gebühr in den Vordergrund zu stellen, sagt sie. Viele andere Exil-Syrer halten dies ebenso, allerdings aus anderen Gründen: Zum einen sollen Syriens Geheimdienste auch im Ausland aktiv sein. Zum anderen müssen politisch aktive Exil-Syrer auch an mögliche Gefahren für ihre daheim lebenden Angehörigen denken.
Unterstützung für inhaftierte Aktivisten
Die von der DW ausgezeichnete Facebook-Seite listet zahlreiche Namen von Aktivisten auf, die nur aufgrund ihrer Meinung festgenommen wurden. Dazu finden sich dort zahlreiche Fotos und Botschaften von Syrern und Nicht-Syrern, die die Aktivisten unterstützen oder sich für ihre Freilassung einsetzen. "Zugegeben, solche Kampagne führen nicht unbedingt gleich zur Freilassung von Aktivisten", sagt Sham. "Aber teilweise haben wir wohl erreicht, dass sie im Gefängnis zumindest besser behandelt werden". Sham und ihre Kollegen arbeiten ehrenamtlich für das Projekt, aus politischer Überzeugung.
Benannt ist die Facebook-Seite nach der syrischen Aktivistin und Bloggerin Razan Ghazzawi, die im Dezember 2011 verhaftet worden war, inzwischen aber wieder auf freiem Fuß ist. Ghazzawi ist den Machern der Seite bis heute dankbar für ihr Engagement. "Diese Facebook-Seite hat den Preis wirklich verdient", sagt Razan Ghazzawi im Interview mit der DW. "Es ist zwar nicht die einzige Initiative dieser Art, aber sie hat beachtliche Erfolge erzielt." Ausgezeichnet wird die Facebook-Seite in der Kategore "Best Social Activism Campain" des DW-Blogger-Wettbewerbs "The BOBs".
Gesellschaftliches Tabuthema
Eine weitere BOBs-Auszeichnung geht an ein Online-Projekt aus Ägypten. Die Seite "Harassmap" widmet sich einem Thema, das unabhängig von den politischen Umwälzungen am Nil bis heute ein gesellschaftliches Tabu geblieben ist: der sexuellen Belästigung von Frauen. Auf "Harassmap" können Frauen sexuelle Belästigungen anonym melden - die Vorfälle werden dann auf einer Karte lokalisiert und kategorisiert. Damit wird visuell dokumentiert, wie häufig Frauen in Ägypten Opfer von sexueller Belästigung werden, und an welchen Orten es für sie besonders gefährlich ist. Die Webseite ermutigt Mädchen und Frauen zudem, über ihre Erlebnisse zu sprechen und sich nicht länger zu verstecken Auch dann nicht, wenn Polizeikräfte oder andere Behördenvertreter für den Übergriff verantwortlich sein sollten. Das ist laut ägyptischen Menschenrechtlern in den vergangenen Jahren immer wieder vorgekommen und hat mehrfach zu öffentlichen Protesten geführt. "Harassmap" will zudem die ägyptische Öffentlichkeit insgesamt stärker für das Thema sensibilisieren.
Gegründet wurde "Harassmap" von der jungen Amerikanerin Rebecca Chiao, die seit 2004 in Ägypten lebt und die Kampagne zusammen mit zehn weiteren Aktivistinnen sowie rund 500 Helfern aus dem ganzen Land betreibt. "Ich liebe Ägypten", betont die Amerikanerin Chiao. "Das ist jetzt auch mein Land - und ich will, dass es zu einem besseren Ort wird."
Die Website funktioniert auf Basis der Software "Ushahidi", mit der zum Beispiel auch Hilfsorganisationen arbeiten, um Informationen zur Lage an bestimmten Orten per Telefon, SMS oder Internet in eine interaktive Karte einzuspeisen. Das Tool wurde in Afrika entwickelt, die Bedeutung des Namens auf Suaheli ist "Zeugenaussage". Ausgezeichnet wird "Harassmap" in der Kategorie "Best Use of Technology for Social Good".
Keine Änderung "von oben"
Über die Motive für ihr Engagement sagt Rebecca Chiao: "Ich habe das Projekt angestoßen, weil ich glaube, dass es beim Thema sexuelle Belästigung keine Änderung 'von oben' geben wird. Es geht nur, wenn die Bürger selbst Initiative zeigen und wenn alle zusammenarbeiten", so Chiao gegenüber der DW. Einfach wird das nicht. Als sie und ihre ägyptischen Mitstreiterinnen mit dem Projekt begonnen hatten, herrschte noch Hosni Mubarak. Inzwischen hat das Land eine Revolution erlebt und befindet sich in einer schweren politischen Krise, die der frisch gewählte Präsident erst einmal meistern muss. So haben viele Bürger zur Zeit andere Sorgen. Auch aus kulturellen Gründen stößt das Anliegen nicht bei allen Ägyptern auf Sympathie. Für Rebecca Chiao jedoch ist klar, dass die neue ägyptische Zivilgesellschaft, auf die immer noch viele jugendliche Aktivisten hoffen, den Frauen auch Schutz vor sexueller Belästigung und Übergriffen bieten muss.