Für FDP-Chef Lindner ist Jamaika passé
23. November 2017FDP-Chef Christian Lindner will nach einer möglichen Neuwahl nicht nochmals über eine Jamaika-Koalition verhandeln. "Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Grünen auf Bundesebene ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich", sagte Lindner dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Jetzt sei die SPD am Zug, sagte Lindner. Sie sollte sich zumindest der Mühe unterziehen, "der wir uns vier Wochen lang unterzogen haben", forderte er.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing in seinem Bemühen, Auswege aus der Regierungskrise zu finden, an diesem Donnerstag SPD-Chef Martin Schulz zu einem Vier-Augen-Gespräch. Schulz sicherte eine konstruktive Rolle seiner Partei bei der Suche nach einer stabilen Bundesregierung zu. "Die SPD ist sich vollständig ihrer Verantwortung in der momentan schwierigen Lage bewusst", sagte Schulz der Deutschen Presse-Agentur. "Ich bin sicher, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen eine gute Lösung für unser Land finden", sagte er weiter.
Der Sozialdemokrat steht unter Druck, weil immer mehr Genossen, vor allem des rechten Parteiflügels, sein klares Nein zu einer großen Koalition ablehnen. Gleichzeitig tendieren führende SPD-Politiker inzwischen dazu, gegen verbindliche Zusagen für SPD-Projekte eine Unions-geführte Minderheitsregierung zu tolerieren, um die politischen Verhältnisse absehbar zu stabilisieren und Zeit zu gewinnen.
Stabilitätspakt zwischen Union und SPD
Nordrhein-Westfalens SPD-Landeschef Michael Groschek regte einen "Stabilitätspakt" seiner Partei mit einer Minderheitsregierung im Bund an. Man könnte sich in dem Pakt darauf verständigen, in zentralen Fragen gemeinsam vorzugehen, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Dazu zählten die Förderung der strukturschwachen Kommunen, die Einführung eines Einwanderungsgesetzes, die Sicherung der Renten und eine "gerechte Steuerpolitik". In der Europapolitik sollte sich Deutschland der Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron anschließen, ergänzte er. Groschek wies auch darauf hin, dass die Minderheitsregierungen in NRW (2010) und in Hessen (2008) gut funktioniert hätten.
Ähnlich äußerte sich Hessens SPD-Vorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel. Die Sozialdemokraten scheuten Neuwahlen nicht, sagte er und verwies gleichzeitig mit Blick auf sein Bundesland auf die Vorzüge einer Minderheitsregierung. "Für die Demokratie und das Parlament war das nicht die schlechteste Zeit. Wir haben viele kluge Gesetze beschlossen, weil wir über den Inhalt diskutiert haben im hessischen Landtag, jenseits von Koalitionsverträgen", erklärte Schäfer-Gümbel, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD ist. Zuvor hatte bereits SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles für ein Minderheitskabinett plädiert.
Unionsfraktionschef Volker Kauder forderte die SPD auf, nach dem Aus für ein Jamaika-Bündnis doch wieder eine große Koalition zu ermöglichen. Er würde sich freuen, "wenn sich die bisherigen Partner in der Bundesregierung wieder zusammenfänden", sagte der CDU-Politiker der "Südwest Presse". "Gerade die großen Parteien, die die Geschichte der Bundesrepublik geprägt haben, haben nach diesem Wahlergebnis eine besondere Verantwortung, dem Land eine gute Regierung zu stellen."
FDP und Grüne lehnen Tolerierung ab
Führende Politiker von FDP und Grünen lehnten es dagegen ab, eine Unions-geführte Minderheitenregierung zu tolerieren. FDÜ-Chef Lindner sagte, er sei generell "kein Freund von Minderheitsregierungen". Und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der "Bild"-Zeitung: "Wenn so etwas funktionieren soll, dann braucht es für unsere Projekte auch entsprechende Mehrheiten und das ist im heutigen Bundestag nicht der Fall."
Die Sondierungen über eine Bundesregierung aus CDU, CSU, FDP und Grünen - eine Jamaika-Koalition - waren am Sonntagabend geplatzt. Die Liberalen hatten die Verhandlungen abgebrochen.
Neben Schulz will Bundespräsident Steinmeier an diesem Donnerstag auch mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) über einen Ausweg aus der Krise beraten.
mm/kle/se/cr (dpa, afp, rtr)