Für eine differenzierte Sicht
31. Januar 2005"Beirut, Berlin, Beirut" lautet der Titel eines autobiographischen Berichtes, den der libanesische Journalist Kamil Mrowa wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte. Als Mitarbeiter einer deutschen Presseagentur floh der spätere Gründer der renommierten Tageszeitung "Al-Hayat" vor den Alliierten, die den Libanon im Sommer 1941 vom pro-deutschen Vichy-Regime befreiten. Mrowa schildert seine Erlebnisse nach der Flucht in den deutschen Machtbereich. Es ist eine der wenigen Quellen, in denen ein Araber über den Alltag unter nationalsozialistischer Herrschaft berichtet. Trotz aller Beschwernisse und Einschränkungen, die Mrowa schildert, genoss er als Angehöriger der Gruppe um den mit den Nazis zusammenarbeitenden Jerusalemer Mufti Hadj Amin al-Husseini zahlreiche Privilegien.
Grundlegend anders sind die Erfahrungen, die andere Moslems als Studenten, Arbeiter oder Kriegsgefangene mit dem Nationalsozialismus sammelten. Der kürzlich verstorbene Berliner Nahost-Historiker Gerhard Höpp bemühte sich in den vergangenen Jahren darum, die Spuren von Muslimen zu rekonstruieren, die sich im nationalsozialistischen Deutschland aufhielten.
Arabische Opfer des NS-Regimes
Höpps Studien geben Auskunft über die alltäglichen Konfrontationen mit der rassistischen NS-Ideologie - von Schikanen bis zu Inhaftierungen und Mord im Konzentrationslager (KZ). Die Nürnberger Gesetze von 1935 bildeten die rechtliche Grundlage für staatliche Verfolgungen, die insbesondere die so genannte "Rassenschande", der sexuelle Verkehr mit "Ariern", unter schwerste Strafe stellten. Zusammen mit Zwangssterilisierungen von "Trägern artfremden Blutes" gehörten die in den Nürnberger Gesetzen vorgesehenen Strafen zu den Konsequenzen der NS-Rassentheorien - auch Araber galten als "Nicht-Arier".
Neben den zeitweise über 80.000 nordafrikanischen Kriegsgefangenen, die als Angehörige der französischen Armee inhaftiert waren, gab es in nahezu allen Konzentrationslagern arabische und muslimische Häftlinge. Widerstand, Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg, Sabotage, vor allem aber auch bereits geringste Eigentumsdelikte oder Übertretungen von Regelungen für Fremd- und Zwangsarbeiter dienten zur Begründung ihrer Haft. Über 450 Personen arabischer, vornehmlich nordafrikanischer Herkunft konnten von Höpp namentlich ausgemacht werden. Ihre tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen.
Opfergedenken als Politikum?
Die Erinnerung an diese Menschen veranlasste den arabischen Fernsehsender "Al Dschasira" im Januar 2003 zu einer Reportage aus der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. "Wo ist dein Grab, arabisches Opfer?" fragte Deutschland-Korrespondent Aktham Suliman und forderte, den arabischen Opfern in ähnlicher Weise wie den jüdischen Opfern des Holocaust zu gedenken. Israel monopolisiere die Rolle der Opfer, heißt es im Vorspann der Sendung, und es sei an der Zeit, endlich auch der arabischen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.
Historisch ist eine solche Parallelisierung unhaltbar. Im Rahmen einer Tagung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zum Thema "Erinnerungspädagogik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft" beschäftigte sich im Herbst 2004 ein Workshop unter anderem mit dieser Frage. Rosa Fava, pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte, wandte sich dabei deutlich gegen einen solchen Vergleich. Trotz der Bedeutung, die der Erinnerung an muslimische und arabische Opfer zukomme, sei es wichtig, so Fava, diese Verfolgungen von der systematischen Vernichtungspolitik gegenüber Juden und Sinti und Roma zu unterscheiden.
Differenzierung zwingend notwendig
Im Gespräch mit Besuchern sei es notwendig, die Vielschichtigkeit des Themas hervorzuheben. "Waren eigentlich auch Muslime im Konzentrationslager?" könne zwar als Frage, die von Jugendlichen oft gestellt wird, eindeutig mit einem "Ja" beantwortet werden. Dennoch sei es wichtig zu betonen, dass die Muslime nicht wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, erklärt die Mitarbeiterin der Gedenkstätte. Die Existenz von muslimischen Häftlingen solle in Zukunft trotzdem thematisiert werden.
Den Pädagogen stellt sich aber neben der politischen Vereinnahmung ein besonderes Problem: Es handelt sich bei den Muslimen nicht um typische Opfer. Die Mehrheit der muslimischen Häftlinge bestand aus ehemaligen Mitgliedern der bosnisch-muslimischen SS-Einheit "Handschar", die von deutscher Seite zum Einsatz gegen Partisanen ausgebildet wurde. Ende 1943 wurden über 800 der bosnischen SS-Leute nach einer Meuterei in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Zum Verständnis ihrer Situation im Lager ist ein Hinweis auf die vorangegangene Kollaboration unerlässlich.
Die arabischen Opfer, die sich lange "im Schatten des Mondes" befanden, wie Gerhard Höpp schreibt, werfen so nicht nur für die historische Forschung weiterhin zahlreiche Fragen auf. Auch in pädagogischer Hinsicht stellt ihr Schicksal die Gedenkstätten vor die Herausforderung, die teilweise widersprüchliche Politik des Nationalsozialismus gegenüber Muslimen und Arabern angemessen zu vermitteln.