Wie Kreative Fukushima verarbeiten
11. März 2016"Grüße aus Fukushima" hat die deutsche Filmemacherin Doris Dörrie ihren neuesten Streifen genannt. Im Mittelpunkt steht die Begegnung einer alten Japanerin, die alles verloren hat, aber weiter im Katastrophengebiet lebt, mit einer jungen Deutschen, die um eine verlorene Liebe trauert. Die Landschaft ist verwüstet. 18.500 Tote hat die Katastrophe gefordert. Beide Frauen leiden. Gegenseitiger Trost ist angesagt. Daraus erwächst Hoffnung: "Wenn wir den Schmerz im anderen erkennen, können wir uns wirklich verbinden", sagt Doris Dörrie, die 2008 mit "Kirschblüten - Hanami" schon einmal einen japanophilen Film machte. Für ihr neues Werk drehte sie auch am Originalschauplatz - nur ein halbes Jahr nach der Katastrophe. Auf der diesjährigen Berlinale ließ "Grüße aus Fukushima" als poetisches Schwarz-Weiß-Drama aufhorchen. Seit dieser Woche läuft es in den deutschen Kinos.
Der Zeichner als Metapher
Wie weiterleben mit Verlust, Schmerz und Trauer? Darum kreist Nina Jäckles Roman über Fukushima, für den sie 2015 den Evangelischen Buchpreis erhielt. Die Autorin, Jahrgang 1966, entführt ihre Leser in das Japan des Jahres 2011. Ich-Erzähler ist ein Phantombildzeichner. Er hat nach der Tsunami-Katastrophe den Auftrag, anhand von Fotos entstellter Opfer Zeichnungen anzufertigen, die Hinterbliebenen die Identifizierung ihrer Angehörigen ermöglichen. Die Arbeit des Zeichners wirkt als Metapher: Die anonymen Opfer erhalten Gesicht und Namen zurück, ein zutiefst menschlicher Akt. "Mich fasziniert das Aufbegehren eines Einzelnen gegen die Machtlosigkeit", sagt Jäckle, "und zwar mit ganz simplen Mitteln wie Papier und Bleistift." Die Arbeit an ihrem Buch #link:http://www.kloepfer-meyer.de/Default.ASP?Autor=75:"Der lange Atem"#, für das sie aufwändig recherchierte und das im Verlag Klöpfer & Meyer erschien, habe die Autorin "politisiert", wie sie sagt. "Fukushima hat gezeigt, dass die Welt die Technik nicht im Griff hat."
Von der Katastrophe "politisiert"
Zur gleichen Erkenntnis ist #link:http://www.kanjotake.com/de/index.html:Kanjo Také# gelangt. Der in Düsseldorf lebende Künstler sah sich durch die Ereignisse von Fukushima genötigt, sein "erstes politisches Werk" zu wagen, eine zehn Meter breite Foto-Collage. Sie zeigt zerstörte Landschaften, einen Taifun-artigen Wirbel, von Flutwellen verschluckte Autos, ein zerborstenes Schiff. Das Bild ist von düsterer Grundstimmung. Doch stammt keines der Fotos, die Také am Computer bearbeitet hat, aus Fukushima. Ort der Apokalypse könnte genauso gut Tschernobyl, New York oder Berlin sein. Die Katastrophe von Fukushima habe gezeigt, sagt der 63-jährige Deutsch-Japaner, dessen Eltern in Japan leben, was geschehen könne, wenn riskante Technik in der Hand weniger Profiteure liege. "Dann schauen wir unserer eigenen Vernichtung zu."
Requiem mit Naturklängen
Auch wenn Japans Atommeiler angeschaltet bleiben - die Natur ist stärker. Diese Botschaft schwingt mit in Toshio Hosokawas Oper "Stilles Meer". Das suggestive Stück des japanischen Erfolgskomponisten über die Atomkatastrophe bekam freundlichen Beifall, als es im Januar an der #link:http://www.staatsoper-hamburg.de/de/spielplan/stueck.php?AuffNr=132104:Hamburger Staatsoper# uraufgeführt wurde, in Szene gesetzt von Oriza Hirata und dirigiert von Kent Nagano. Eine deutsche Tänzerin sucht ihr Kind, das mit ihrem japanischen Mann in den Tsunami-Fluten umkam, vergeblich. Sie flüchtet sich in eine Traumwelt. Das Requiem gibt der Trauer eine Stimme, die sehr östlich anmutet. Die Katastrophe tritt in den Hintergrund, Naturklänge dominieren. "Die Japaner gehen mit der Katastrophe anders um", erklärt Chefdramaturg Johannes Blum, "was aus deutscher Sicht schwer verständlich wirkt". "Stilles Meer" sieht er als Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.
Dunkler Trauerflor über Japan
Fukushima habe die Japaner gelähmt, analysiert der Schweizer Japanologe Roger Walch. "Während man in den vergangenen Jahrhunderten nach Naturkatastrophen die offensichtlich erzürnten Götter durch Tanz, Theater und Musik zu besänftigen suchte und aufwändige Schreinfeste veranstaltete, war Japan nach der Dreifachkatastrophe von Fukushima paralysiert", schrieb Walch 2013 in einem Beitrag für die Publikationsreihe "What's Next?". "Jishuku hieß jetzt das Motto - selbstauferlegte Zurückhaltung. Konzerte wurden abgesagt, Ausstellungen gestrichen, Kinopremieren gecancelt. Ein dunkler Trauerflor hing über Japan."
Und wo blieb der Protest? Japans Kreative aus Kunst, Design, Foto und Film organisierten sich in einer Gruppe namens Act for Japan (A4J). Ihr Ziel: die finanzielle Unterstützung der Katastrophenopfer. Andere Gruppierungen folgten - Art for Life (A4L) etwa, oder Japan Art Donation. Auf Internet-Auktionen wurde Geld für die Bedürftigen gesammelt. Namhafte japanische Künstler engagierten sich öffentlich für ein Ende der Atomkraft, darunter Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe, der Autor Hiroshi Takahashi, der Musiker Ryuichi Sakamoto oder auch der im Westen populäre Künstler Takashi Murakami. Doch politische Äußerungen seien riskant: "Wer dem Land den Spiegel vorhält", weiß Japanologe Walch, "gilt als Nestbeschmutzer und Verräter".
Energiewende in Japan unmöglich
Ein Beispiel dafür lieferte der japanische #link:http://kotaku.com/japanese-manga-stirs-up-fukushima-nuclear-controversy-1573381718:Comic-Autor Tetsu Kariya#. Im Manga-Kultmagazin "Big Comic Spirits" schilderte er ungeschönt die Folgen der Reaktorkatastrophe: Kariayas Bildgeschichten zeigten Menschen, die unter unerklärlichem Nasenbluten litten und sich durch Geisterstädte bewegten. Manga-Fans standen Schlange. Behörden waren entsetzt. Den Manga-Verlag erreichten Klagedrohungen. Hat Fukushima bislang verborgene Risse in der japanischen Gesellschaft freigelegt? Theaterleute, Bildende Künstler und Musiker gingen dieser Frage 2014 bei dem Berliner Festival "Japan Syndrome" im Berliner Hebbel-Theater nach. "Japan Syndrome macht das Nachbeben spürbar, das einen Teil der Kulturschaffenden in Tokio und anderen Metropolen erfasst hat", schrieb die deutsche Tageszeitung "Tagesspiegel", "derjenigen, die nicht länger bereit sind, das Desaster höflich lächelnd zu überspielen".
Kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Deutschland macht auch der #link:https://www.uni-hildesheim.de/fb2/institute/philosophie/team/prof-dr-tilman-borsche/:Hildesheimer Philosoph Tilman Borsche# aus. Hier wie dort hat der inzwischen emeritierte Professor über das Wesen und die Folgen von Fukushima publiziert. In beiden Ländern hielt er öffentliche Vorträge. Sein Fazit: In Japan fiel die Katastrophe auf einen anderen kulturellen Boden. Die Menschen hätten ein autoritätsgläubigeres und traditionsverhafteteres Verhältnis zu ihrem Staat. Kein Japaner habe sich vorstellen können, von Politikern und Atommanagern derart belogen zu werden. "Eine Energiewende über Nacht - wie in Deutschland", so Borsche, "wäre in Japan wohl nicht möglich gewesen". Deutschlands Politik habe sich nur deshalb so energisch von der Atomkraft abgewandt, weil Japan technisch ähnlich hochentwickelt ist. "Fukushima in Mexiko", ist der Hildesheimer Philosoph sicher, "hätte hierzulande ganz sicher keine Energiewende ausgelöst".