Fußball-Zwerg China
12. Oktober 2016Nach der 0:2-Niederlage der chinesischen Nationalmannschaft am vergangenen Dienstag im usbekischen Taschkent zog der chinesische Trainer Gao Hongbo die Konsequenz. Der Rücktritt war anscheinend schon vorher beschlossene Sache. "Ich habe schon gestern Abend mit den Verantwortlichen des Verbands gesprochen", sagte Gao auf der PK, "sie glauben, dass der Nationaltrainer für die schlechten Resultate Verantwortung übernehmen muss. Ich habe meinen Rücktritt angeboten." Noch ehe seine Stellungnahme ins Englische übersetzt werden konnte, verließ Gao den Raum.
Bye bye WM 2018?
China startete dieses Jahr besonders schlecht in die WM-Qualifikation. Die Mannschaft konnte bisher kein einziges Spiel gewinnen und verlor zuletzt gegen Syrien im Heimspiel 0:1 und gegen Südkorea 2:3. Nur gegen den Iran konnte China durch ein 0:0 einen einzigen Punkt sichern. Damit steht China auf dem letzten Platz in der Gruppe A und hat nur noch theoretisch eine Chance zur Teilnahme an der WM 2018.
"Meine liebe Nationalelf, wie soll ich das kommentieren?", schrieb der Autor der Volkszeitung nach der Niederlage gegen Syrien. "Liebe Fans, bitte seid nicht so traurig, dass Ihr vor Verzweiflung krank werdet."
Bisher hat China nur einmal an der Fußballweltmeisterschaft teilgenommen. 2002 waren die Gastgeber Japan und Südkorea automatisch qualifiziert, gegen die China kaum eine Chance gehabt hätte. 32 Jahre lang konnte China kein einziges Spiel gegen Südkorea gewinnen können. Nur einmal, bei der Ostasiatischen Fußballmeisterschaft 2010, hat China gegen Südkorea gewonnen, mit 3:0.
Erfolglos trotz reichlich Geld
Der Profifußball in China hat kein Geldproblem. Die 16 Mannschaften der chinesischen Superliga CSL haben Insidern zufolge ein Mindestetat von umgerechnet 140 Millionen Euro - pro Club wohl gemerkt. Zum Vergleich: der deutsche Bundesligist Hertha BSC plant für die kommende Spielzeit mit einem Budget von 102 Millionen Euro.
Die Sponsoren schätzen die riesige Fangemeinde in China und sind bereit, Geld in die Mannschaften zu stecken. Guangzhou Evergrande, die seit 2011 fünf Jahre in Folge die Meisterschaft gewann, war auch international erfolgreich. Zweimal war der Verein Gewinner der asiatischen AFC Champions League.
Chinas Profiliga lockt mit astronomischen Gehältern. So verdient der ehemalige Nationaltrainer Brasiliens, Luiz Felipe Scolari, seit 2015 Trainer bei Guangzhou Evergrande, fünf Millionen Euro zuzüglich Boni. Bei Thomas Tuchel, dem Trainer vom deutschen Bundesligist Borussia Dortmund (BVB), soll das Fixgehalt bei vier Millionen liegen. Der deutsche Trainer Felix Magath kassiert bei chinesischen Proficlub Shandong Luneng 3,5 Millionen Euro.
Doch China konnte bisher keine starke Nationalmannschaft zusammenstellen - trotz einer Vielzahl an hoch dotierten und international erfahrenen Trainern aus verschiedenen europäischen Ländern, die seit 2000 allesamt in China gescheitert sind. Im Fußball ist China statistisch gesehen das Reich des Mittelmaßes: Auf der Männer-Weltrangliste des Weltfußballverbands FIFA steht China derzeit auf Platz 78 von 205, noch hinter Ländern wie Libyen, Burkina Faso oder Trinidad und Tobago.
Xi lässt sich Enttäuschung nicht anmerken
Obwohl Staatspräsident Xi Jinping öffentlich noch nie die Leistung der chinesischen Nationalelf kommentiert hat, dürfte er schmerzlich enttäuscht sein. Denn er ist großer Fußballfan, 1983 soll er wütend das Stadion verlassen haben, als Chinas Nationalmannschaft in einem Freundschaftsspiel gegen ein englisches Team fünf Tore kassierte. Es heißt, er schaue gern bis tief in die Nacht Live-Übertragungen. 2014 schaute er sich am Rande des Staatsbesuchs in Deutschland mit großem Interesse ein Freundschaftspiel zwischen der U13 des VfL Wolfsburg und einer chinesischen Jugendauswahl an. In der Halbzeitpause begrüßte Xi jeden Spieler per Handschlag. Xi will, dass China eines Tages die Fußballweltmeisterschaft veranstaltet und - noch besser - den Titel holt.
Verbandschef desinteressiert
In China konzentriert sich die Kritik von Fans und Sportexperten angesichts des Dauermisserfolgs auf den Verbandsvorsitzenden Cai Zhenhua. Der gilt als erfolgreichster Trainer in der Sportgeschichte Chinas, allerdings für Tischtennis. Jetzt ist er Vorsitzender der Verbände für Fußball, Tischtennis und Badminton in Personalunion. Fußballfans werfen ihm Desinteresse vor. Eine Videoaufnahme zeigt, dass Cai im Stadion mit dem Handy gespielt und nicht mal gejubelt hat, als Guangdong Evergrande im Finale der Asiatischen Champions League 2015 das erste Tor schoss.
Ein Startrainer sei kein Allheilmittel, Cai habe nichts getan, um die strukturbedingten Missstände im Verband zu beseitigen und chinesischen Nachwuchs in der Profiliga CSL zu fördern, so die Kritik. In der vergangenen Saison 2015/16 waren unter den 20 besten Torschützen in der CSL nur zwei Chinesen. Die Männer müssten sich vielleicht mal bei den Frauen umsehen. Die chinesische Frauenmannschaft kann mit nämlich mit Erfolgsstatistiken aufwarten: WM-Zweite 1999, im WM-Viertelfinale 2015, Silber bei Olympia 1996, sieben Mal Sieger bei der Asien-Meisterschaft in Folge seit 1986, zuletzt Platz 3 im Jahr 2014.