Stefan Kuntz wird türkischer Nationaltrainer
20. September 2021"Hier zu sein ist so, als würde ich nach Hause zurückkehren", sagte Stefan Kuntz, als er in Istanbul als neuer Fußball-Nationaltrainer der Türkei vorgestellt wurde. Er sei "voller Stolz", so Kuntz. "Als ich meiner Familie zum ersten Mal von dem Angebot erzählte, sagten sie zu mir: 'Können wir auch in die Türkei kommen?' Ich glaube, ich könnte kein größeres Kompliment machen."
Die Anzeichen, dass Kuntz neuer Trainer des türkischen Teams wird, hatten sich in der vergangenen Woche mehr und mehr verdichtet, bis am Sonntagmittag die Bestätigung kam. Man habe sich geeinigt, der bisherige Coach der deutschen U21 wechsele mit sofortiger Wirkung zum türkischen Verband TFF. "Willkommen, Stefan Kuntz", twitterte die TFF.
"Wir glauben an ihn. Wir vertrauen ihm. Wir wollen viele Jahre zusammenarbeiten", sagte nun Verbandspräsident Nihat Özdemir über Kuntz, der in der Saison 1995/96 für Besiktas auf Torejagd ging: "Heute beginnen wir eine neue Ära für den türkischen Fußball."
Allerdings beginnt diese Ära zunächst mit harter Arbeit, denn die WM-Qualifikation läuft noch nicht nach Plan. In Gruppe G liegen die Türken nach sechs Spieltagen mit elf Punkten nur auf Rang drei. Die Niederlande und Norwegen haben jeweils 13 Zähler. Kuntz lässt davon aber nicht schrecken. Er wolle eine Mannschaft "schaffen, auf die das ganze Land stolz sein kann", sagte der 58-Jährige: "Ich kenne das Potenzial türkischer Spieler. Wir werden diesen Spielern Organisation und Struktur geben." Sein Vertrag läuft bis Sommer 2024 - also inklusive der EM in drei Jahren in Deutschland.
Absage durch DFB sorgt für Nachdenken
Kuntz war in Deutschland als U21-Trainer erfolgreich gewesen. Der ehemalige Bundesliga-Torschützenkönig und Nationalspieler hatte die Mannschaft 2016 nach den Olympischen Spielen in Rio übernommen und dreimal in Folge ins Finale der Europameisterschaft geführt. 2017 und in diesem Sommer gewann der deutsche Nachwuchs den Titel. Als der Abschied von Bundestrainer Joachim Löw feststand und ein Nachfolger gesucht wurde, wurde auch Kuntz gehandelt, letztlich wurde es aber Hansi Flick.
Danach und nach dem enttäuschend verlaufenden Olympia-Turnier in Tokio zeigte sich Kuntz offen für andere Angebote. Er bestätigte Anfang September das "Interesse von Verbänden und Klubs" an seiner Person. "Es ist normal, dass einen das zum Nachdenken bringt", meinte der 58-Jährige.
"Ein Ausdruck der Freundschaft"
"Aufgrund der Erfolge von Stefan Kuntz mit der deutschen U21-Nationalmannschaft und seiner besonderen Beziehung zur Türkei möchte der DFB ihm diesen nächsten Karriereschritt nicht verbauen", hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Freitag in einer Mitteilung geschrieben und Kuntz die Freigabe erteilt. Dies sei "auch ein Ausdruck der Freundschaft zwischen dem deutschen und dem türkischen Fußball". Die TFF hatte sich ebenfalls am Freitag vom bisherigen Nationalcoach Serol Günes getrennt, weil man die Qualifikation zur WM in Katar gefährdet sah.
Meister mit Kaiserslautern, Europameister 1996
Als Stefan Kuntz seine eigenen größten Erfolge als Fußballer feierte, waren die meisten seiner neuen Spieler noch nicht geboren. 1990 wurde der Stürmer mit dem 1. FC Kaiserslautern DFB-Pokalsieger, ein Jahr später sogar Deutscher Meister. 1991 wurde Kuntz zu Deutschlands "Fußballer des Jahres" gewählt, als Erster, der bis dahin noch kein einziges Länderspiel bestritten hatte. 25 Auftritte in der A-Nationalmannschaft sollten aber noch folgen, 1996 wurde er Europameister.
Nach dem Karriere-Ende 1999 versuchte sich Kuntz - zunächst mit eher mäßigem Erfolg - als Trainer, unter anderem bei den damaligen Zweitligisten Waldhof Mannheim und LR Ahlen. "Im Rückblick war ich da noch kein Trainer, sondern wollte die Spielerkarriere fortsetzen", sagt er einmal.
Kuntz studierte Sportmanagement und wurde Vereinsfunktionär. Von 2008 bis 2016 war er Vorstandschef seines langjährigen Vereins 1. FC Kaiserslautern. In dieser Rolle war Kuntz durchaus umstritten, er schied im Unfrieden. Er müsse sich "eingestehen, dass ich nicht mehr der richtige Mann zur richtigen Zeit bin", sagte Kuntz damals dem Magazin "11 Freunde". Beim DFB fand er dann eine neue Heimat und wieder zu sich selbst. Die Spieler lobten Kuntz für sein offenes Ohr. "Ich sehe zuerst den Menschen und dann den Sportler. Wenn ich jemanden kritisiere, dann kritisiere ich nur den Fußballer und nie den Menschen", sagte Kuntz.
Wer geht mit in die Türkei?
Offen ist noch, wer in der Türkei als Co-Trainer an der Seite von Kuntz agieren wird. Zur besseren Verständigung wird er vor allem einen deutsch- und türkischsprachigen Assistenten benötigen. Für diesen Posten versucht der türkische Verband nach Informationen des Magazins "Kicker" den früheren Trainer von Hannover 96, Kenan Kocak, zu gewinnen.
Aus dem bisherigen Trainerteam von Kuntz beim DFB gilt der Verbleib von Co-Trainer Daniel Niedzkowski in Deutschland als sehr wahrscheinlich, da er auch Leiter des Fußballlehrer-Lehrgangs ist. Ob auch Co-Trainer Antonio di Salvo, Torwart-Trainer Klaus Thomforde und Analyst Jannis Scheibe beim DFB bleiben, scheint dagegen offener. Als möglichen Kuntz-Nachfolger bei der U21 nennt der "Kicker" Miroslav Klose.
Dieser Artikel wurde am 20. September aktualisiert.