Fulu: "Vergewaltigung ist globales Thema"
12. September 2013Die Studie basiert auf anonymen Interviews mit mehr als 10.000 Männern im Alter von 18 bis 49 Jahren, die in Bangladesch, China, Kambodscha, Indonesien, Sri Lanka und Papua Neu-Guinea durchgeführt wurden. Einer von zehn befragten Männern gab an, schon einmal eine Frau zum Sex gezwungen zu haben, die nicht seine Partnerin war. Und jeder vierte Befragte gab zu, seine Ehefrau oder Freundin schon einmal vergewaltigt zu haben.
Die erstmals in diesem Umfang in der Region erstellte Studie wurde am Dienstag (10.09.2013) veröffentlicht, dem Tag, an dem ein Gericht in Indien vier Männer schuldig sprach, eine Studentin in einem Bus im Dezember 2012 gemeinsam vergewaltigt und ermordet zu haben. Der Tod der 23-Jährigen hatte wochenlange landesweite Proteste ausgelöst und zur Verschärfung der Gesetze gegen sexuelle Gewalt in Indien geführt. Doch im Gespräch mit der Deutschen Welle betont Studienautorin Emma Fulu, dass strafrechtliche Konsequenzen allein nicht ausreichen, wie die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen zeige.
DW: Wie groß ist das Problem der Vergewaltigung in Asien?
Emma Fulu: Vergewaltigung ist ein globales Problem, in Asien und der ganzen Welt. Die Studie zeigt, dass fast ein Viertel der befragten Männer schon einmal eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt hat - je nach Region bewegt sich dieser Anteil zwischen zehn und 62 Prozent.
Während die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass es sich bei Vergewaltigung um ein schwerwiegendes Problem handelt, zeigt unsere Untersuchung aber auch, dass es viele Männer gibt, die nicht gewalttätig sind. Viele Männer in Asien und dem Rest der Welt sind friedlich und achten das andere Geschlecht. Genau diese Männer müssen wir unterstützen.
Welche Faktoren sind für die Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen verantwortlich?
Die Studie zeigt, dass es zahlreiche Faktoren gibt, die bei Männern zu Gewalt gegen Frauen führen. Dazu zählt die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die Akzeptanz bestimmter Verhaltensmuster bei Männern, Gewalt zu billigen. Außerdem gibt es eigene Erfahrungen von Männern mit Gewalt, besonders in der Kindheit. .
Insgesamt finden sich in der Studie Belege von Männern selbst, die deutlich machen, dass diejenigen, die gewalttätig gegenüber Frauen sind, eher Frauen als ungleich ansehen. Oder sie haben Missbrauch selbst erlebt oder miterlebt. Viele brüsten sich damit, körperlich besonders zäh, sexuell leistungsfähig und Frauen generell überlegen zu sein.
Wie verlässlich und repräsentativ sind die Ergebnisse der Studie?
Wir glauben, dass die Resultate dieser Studie verlässlich sind und genau darstellen, wie häufig es zu Vergewaltigungen in den Regionen kommt, in denen die Studie durchgeführt wurde. Die Untersuchung hat international anerkannte Standards der Forschung über Gewalt gegen Frauen verwendet, die konzipiert wurden, um die genauesten Resultate zu erhalten, die möglich sind.
Zum Beispiel wurden Männer nicht allgemeine Fragen zu "Gewalt" oder "Vergewaltigungen" gestellt, sondern sie wurden vielmehr über konkrete Handlungen und Verhaltensmuster befragt. Außerdem wurden für die Studie innovative Technologien verwendet, um die Genauigkeit der Daten zu verbessern. Und schließlich wurden die Berichte der Männer mit Forschungsarbeiten abgeglichen, bei denen Frauen darüber berichtet haben, was sie als Opfer erlebt haben.
Warum wurden Teilnehmer gerade aus diesen Ländern für die Untersuchung ausgewählt?
Die Standorte für die Untersuchung wurden ausgewählt, um die Unterschiedlichkeit der Asien-Pazifik-Region widerzuspiegeln. Wir haben Süd-Asien, Ost-Asien und den Pazifik-Raum ausgewählt - darunter zwei ehemalige Konflikt-Regionen. Im Allgemeinen haben wir Länder ausgewählt, in denen bis jetzt nur wenige derartige Studien durchgeführt worden sind.
Um eine zufallsbedingte Auswahl sicherzustellen, wurden die Standorte der Untersuchung in verschiedene Gegenden und Haushalte aufgeteilt, und dann wurden Männer aus diesen Gruppierungen willkürlich ausgewählt, um an dem Interview teilzunehmen. Das heißt, in jeder Region gab es für jeden einzelnen Mann die gleiche Wahrscheinlichkeit, für die Studie ausgewählt zu werden.
Was ist die Kernbotschaft der Untersuchung?
Die Kernbotschaft ist, dass Gewalt vermeidbar ist. Die Studie hat bestätigt, wie wichtig Prävention ist - zusammen mit einer umfassenden und wirksamen Reaktion auf Gewalt gegen Frauen. Das heißt, man muss die eigentlichen Gründe für Gewalt angehen, um sie zu stoppen, bevor sie überhaupt erst entsteht. Die Studie zeigt, dass man gegen die Ungleichheit der Geschlechter ankämpfen, den gewaltfreien Umgang miteinander fördern und dem Kindesmissbrauch ein Ende machen muss.
Wenn wir uns das Alter ansehen, in dem es zu Gewaltvergehen bei manchen Männern kommt, dann bedeutet dass, dass wir bereits früh mit den Jungen arbeiten müssen. Wir müssen ihnen positivere Vorbilder zeigen, wie man sich als Mann verhält.
Wir brauchen stärkere Anstrengungen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern - das ist unsere Kern-Empfehlung. Denn die starke Verbreitung von Gewalt zeigt, dass eine strafrechtliche Ahndung allein nicht ausreicht. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Mehrheit der Faktoren, warum es überhaupt zu Gewalt durch Männer kommt, geändert werden können. Und die Studie gibt uns neue Hinweise von den Männern selbst, was sich ändern muss und wo diese Änderungen ansetzen müssen.
Die Wissenschaftler haben in allen untersuchten Ländern herausgefunden, dass Vergewaltigungen von Intimpartnerinnen weiter verbreitet sind als Vergewaltigungen anderer Frauen. Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis?
Das ist ein ganz wichtiges Ergebnis, denn es zeigt, wie wichtig es ist, Vergewaltigung in der Ehe als kriminellen Akt zu behandeln. In vielen Ländern im asiatisch-pazifischen Raum wird Vergewaltigung in der Ehe noch immer nicht als Straftat angesehen. Und für die Mehrheit der Männer, die Vergewaltigungen zugegeben haben, gab es auch keine rechtlichen Konsequenzen.
Während es eine Kultur der Straflosigkeit gibt, mangelt es gleichzeitig an einem starken gesetzlichen Rahmen. Aber eine Verschärfung der Gesetze darf nicht unser einziges Mittel sein, um Gewalt gegen Frauen zu stoppen. Wir müssen außerdem daran arbeiten, ein bestimmtes Denken zu verändern - etwa dass Männer ein Recht auf den Körper einer Frau auch ohne ihre Zustimmung haben. Außerdem müssen wir eine gesunde und gewaltfreie Sexualität fördern.
Warum werden so viele Vergewaltigungsfälle in Asien nicht angezeigt?
Weltweit haben Untersuchungen ergeben, dass eine Vergewaltigung mit Scham und Stigmatisierung einhergeht, und aus diesem Grund betroffene Frauen häufig nicht wollen, dass ihre Vergewaltigung öffentlich bekannt wird. Für Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigen, sind die Rechtssysteme nicht gerade geschaffen worden. Es gibt häufig kaum Hilfen für sie - wenn es überhaupt welche gibt.
Das heißt, dass Frauen möglicherweise nicht die nötige gesetzliche, medizinische und psychologische Unterstützung erhalten, die nötig ist, um eine Vergewaltigung wirksam aufzuarbeiten - und das beinhaltet auch die Strafverfolgung des Vergewaltigers.
Was müssen die Länder in Asien tun, um Vergewaltigungen wirksam zu bekämpfen?
Es geht hier nicht nur um asiatische Länder. Ausgehend von den Ergebnissen der Studie empfehlen wir die Stärkung der Prävention und auch die Einrichtung von Notfall-Hotlines.
Gewalt gegen Frauen muss durch Programme, die die Gesellschaft mobilisieren und durch das Engagement von Menschen, die einen Einfluss auf die jeweilige Kultur des Landes haben, geächtet werden. Wir müssen daran arbeiten, Männern zu zeigen, wie sie auf gewaltfreie und liebevolle Weise ein Mann sein können. Außerdem müssen wir Kindesmissbrauch bekämpfen und gesunde Familien fördern. Und schließlich müssen wir die volle Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen gewährleisten und die Geschlechter-Diskriminierung abschaffen.
Emma Fulu arbeitet für Partners for Prevention - ein gemeinsames Forschungsprogramm verschiedener UN-Organisationen zur Prävention geschlechts-spezifischer Gewalt in der Asien-Pazifik-Region.