Frust über die 12-Cent-Wurst
15. Januar 2016Einzigartige Leistungsschau der Landwirtschaft, Spitzentreffen der internationalen Agrarpolitik - die Internationale Grüne Woche schmückt sich mit vielerlei Superlativen. In diesem Jahr feiert die Messe zudem Geburtstag: Vor 90 Jahren fand die erste Landwirtschaftsausstellung in Berlin statt, und weil so viele Männer in Lodenmänteln dabei waren, wurde sie "Grüne Woche" getauft.
Während die Messeleitung das Jubiläum feiert und sich in diesem Jahr über 1660 Aussteller aus 65 Ländern freut, ist den deutschen Landwirten so gar nicht zum Jubeln zumute. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, sieht sie in einer schwierigen, teilweise sogar prekären Lage.
"Wir haben rund 30 Prozent Einkommensrückgang hinnehmen müssen auf nur noch 30.000 Euro brutto pro Arbeitskraft." Hiervon müssten nicht nur Sozialabgaben bezahlt, sondern auch noch Eigenkapitalrendite erwirtschaftet und Darlehen getilgt werden. "Es ist also nicht mit dem Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers zu vergleichen", so der Bauernpräsident.
Fleisch zu Dumpingpreisen
Schuld ist der Verfall der Erzeugerpreise. Für Rinder und Schweine bekommen Bauern heute vier Prozent weniger als vor einem Jahr, die Preise für Ferkel sind um sechs Prozent gefallen. Ein Bauer verdiene an jedem verkauften Würstchen nur noch 12 Cent, rechnet Rukwied vor.
Überraschen kann das niemanden, denn der Trend zu Megaställen mit zehntausenden Tieren, in denen billiges Fleisch produziert wird, hat sich über Jahre entwickelt. Das belegt auch der sogenannte Fleischatlas, den die Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz zur Grünen Woche vorgelegt haben. Demnach stieg die Produktion von Schweinefleisch seit 1994 um rund 50 Prozent, die Menge des Geflügelfleischs hat sich seitdem verdreifacht.
Runter mit der Menge und rauf mit den Preisen, fordert der BUND. Der Bauernverband hingegen setzt allein auf höhere Tierhaltungsstandards und einen entsprechenden Aufschlag bei den Verbraucherpreisen. "Entscheidend ist nicht die Anzahl der Tiere", kontert Rukwied. "Wichtig ist, dass wir die Tierhaltungsbedingungen auch weiter verbessern."
Dass die Bauern dazu bereit seien, habe "Tierwohl" gezeigt, eine Initiative für bessere Standards zur Tierhaltung. "4600 Bauern haben investiert und auch jetzt investieren die Landwirte immer noch."
Weltweite Milchschwemme
Trotzdem kommt das Geschäft mit mehr Tierwohl nicht auf Touren. Wer in den Supermarktregalen nach Fleisch mit dem entsprechenden Label sucht, wird bislang kaum fündig.
Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) würde das gerne ändern. Agrarprodukte aus artgerechter Tierhaltung sollten künftig klar und einheitlich gekennzeichnet werden, so der Minister. Neun von zehn Verbrauchern seien bereit, einen höheren Preis für Lebensmittel zu zahlen, die aus artgerechter Tierhaltung stammen.
Soweit die Theorie. In der Praxis greifen die Deutschen gerne zu, wenn es Schnäppchenangebote gibt. Auch Milch ist derzeit wieder zu niedrigeren Preisen zu haben. Nur noch 24 Cent bekommt ein Bauer für einen Liter, das deckt nicht einmal die Produktionskosten. Weltweit ist zu viel Milch im Angebot. In Neuseeland, Australien und den USA wird mehr produziert, während China weniger abnimmt als erwartet.
Russland fehlt
Zur Schieflage der deutschen Landwirte hat auch das von der EU verhängte Embargo gegen Russland beigetragen. Moskau hat darauf mit einem Importverbot für viele westliche Agrarerzeugnisse reagiert und das, so sagt Bauernpräsident Rukwied, habe "voll durchgeschlagen".
Russland sei neben der Schweiz und den Vereinigten Staaten mit rund 1,8 Milliarden Euro Exportvolumen pro Jahr eine der drei größten Exportdestinationen außerhalb Europas gewesen. "Hier haben sich die Exporte halbiert und wir schätzen, dass uns dadurch 500 bis 600 Millionen Euro Einkommen pro Jahr fehlen", so Rukwied.
Offiziell hat Russland, das auf der Grünen Woche zuletzt die größte ausländische Vertretung mit einer eigenen Halle hatte, seine Beteiligung abgesagt. Sibirisches Bier und ein paar andere regionale Spezialitäten wird es trotzdem geben. Ein in Berlin lebender russischer Importeur hat das organisiert, weil er sich die Grüne Woche ohne russische Beteiligung nicht vorstellen wollte.
Ernährungsindustrie unter Druck
Den deutschen Bauern hilft das wenig. Allerdings sind sie nicht die Einzigen, die auf der Grünen Woche klagen. Auch die deutsche Ernährungsindustrie sieht sich unter enormem Druck. Der Branchenumsatz sank im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent auf 166,3 Milliarden Euro. Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff spricht von "einem erheblichen Einbruch" und dem "schlechtesten Ergebnis der letzten vier Jahre".
Dazu beigetragen hätten die stark sinkenden Verkaufspreise für die Lebensmittelhersteller. "Eine schwache Nachfrage, anhaltend hohe Kosten bei Löhnen, Energie und Rohstoffen, zunehmender Konkurrenzdruck sowie schwindende Gewinnspielräume im Ausland steigern den Gewinndruck für die Ernährungsindustrie."
Minhoff fordert eine deutlich höhere Wertschätzung für Lebensmittel. Das Potenzial sei da, einer aktuellen Studie seines Verbandes zufolge würden 75 Prozent der Verbraucher dem Einfluss der Ernährung auf ihre Gesundheit eine große Bedeutung beimessen.
Die Studie zeigt aber auch, dass nur noch 34 Prozent der deutschen Verbraucher regelmäßig kochen, 42 Prozent so gut wie nie. Dafür hat sich in den letzten sechs Jahren der Umsatz mit Fertiggerichten fast verdreifacht.