Israelischer Autor und Friedenskämpfer ausgezeichnet
10. Juni 2010David Grossman ist ein Mann, der beeindruckt. Nicht nur durch sein literarisches Werk, auch sein persönliches Engagement in der regierungskritischen Bewegung "Frieden jetzt" findet Anerkennung weit über Israel hinaus. Seit 1993 hat der 56-jährige Autor die Vorgänge im Nahen Osten mit Kommentaren und Kolumnen begleitet.
Andersdenkende verstehen
Die Jury des Friedenspreises hebt hervor, dass es in Grossmans Romanen und Essays darum gehe, beiden Seiten eines Konflikts gerecht zu werden. Eine Einschätzung, die der Autor bestätigt: "Wenn ich Literatur oder Artikel über die politische Situation schreibe, dann versuche ich immer, die ganze Situation aus beiden Blickwinkeln zu erfassen. Ich kann die Welt nicht durch eine enge Brille betrachten. Das ist nicht immer einfach, weil man manchmal auch sich selbst durch die Augen des Feindes sieht. Und man sieht dann, wie verkommen man ist. Es macht uns die Entstellung unseres Charakters, unserer Gesellschaft, unserer Nation bewusst." Grossman ist davon überzeugt, dass er hauptsächlich für sein letztes Buch "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" den Friedenspreis bekommen habe. Eine Geschichte, die unter die Haut geht: Die Titelfigur Ora erzählt von ihrem Sohn, der sich freiwillig für einen Militäreinsatz im Westjordanland meldet. Die Mutter hofft, das drohende Unglück noch vermeiden zu können oder, falls es doch geschieht, dass die Nachricht sie nicht erreicht. Der Roman zeigt, wie eng in Israel das Schicksal der Menschen mit der Politik verbunden ist. Ein literarischer Protest gegen den Krieg.
Dem Zusammenleben eine Stimme geben
Grossman gilt auch als einer der einflussreichsten Journalisten seines Landes. Weltweit bekannt wird er, als er 1988 in seiner Reportagensammlung "Der gelbe Wind“ über das Verhältnis zwischen Israelis und Arabern berichtet und sich weigert, seine Berichterstattung über die Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser zensieren zu lassen. Die Konsequenz: Er wird fristlos entlassen, arbeitet seither als Schriftsteller und konzentriert sich auf Romane und Kinderbücher. Seine Themen kreisen immer wieder um das Ineinandergreifen von Politik und persönlichen Schicksalen, um die Angst vor den Folgen politischer Auseinandersetzungen für die eigene Existenz. Auf aktuelle Ereignisse reagiert er nach wie vor in seinen Essays. Gewalt ist an der Tagesordnung, wie vor kurzem vor der Küste von Gaza. David Grossman kommentiert: "Der unmittelbare Eindruck ist, dass die Chance auf Frieden sehr gering ist. Die Menschen sind sehr feindselig und argwöhnisch gegeneinander, sie misstrauen sich absolut. Aber die Geschichte zeigt, dass auch die schlimmsten Feinde am Ende Frieden schließen."
Kraft des dichterischen Wortes?
Auf die Frage, ob er an die positive Kraft seiner Bücher glaube, antwortet Grossmann: "Ich bleibe realistisch. Natürlich glaube ich nicht, dass, wenn ich einen Artikel über den Frieden schreibe, am nächsten Morgen Benjamin Netanjahu loszieht und Frieden schließt. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich die Dinge in einer Weise formuliere, wie sie die meisten Menschen nicht formulieren würden. Und ich hoffe, dass Menschen in ihrer Überraschung davon ergriffen werden und sich nicht auf ihr übliches Klischee zurückziehen." Zumindest der literarische Erfolg gibt ihm Recht. Seine Romane, Essays, Erzählungen und Kinderbücher sind in mehr als 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Nelly-Sachs-Preis, dem Manès Sperber-Preis und dem Geschwister-Scholl-Preis. Am 10. Oktober dann kommt der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hinzu, der traditionell zum Ende der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen wird.
Autorin: Gudrun Stegen
Redaktion: Petra Lambeck