Friedensdilemma von Myanmar
5. September 2016"Ach die", sagt Taung Ban Kai verächtlich und zeigt auf einen Kalender, der an der Wand ihrer Wohnkabine in einem Flüchtlingslager im Norden Myanmars hängt. Darauf abgebildet ist Aung San Suu Kyi. Die Friedensnobelpreisträgerin wird in Myanmar verehrt wie eine Heilige. Die Minderheiten im Land, zu denen Taung Ban Kai gehört, sind skeptischer.
Vor fast einem Jahr habe sie bei den Wahlen für Aung San Suu Kyi gestimmt, damit endlich alles besser wird in ihrem Land. Nun müsse sie immer noch hier im Camp ausharren, klagt die 54-Jährige Kachin. Aung San Suu Kyi, Angehörige der Mehrheitsbevölkerung der Bamar, schere sich eben auch nicht um ihr Volk, sagt Taung.
Taung Ban Kai, das lange schwarze Haar kunstvoll auf der Kopfkrone festgesteckt, lebt mit ihrem Mann und über 400 anderen Familien in einem Lager für Kriegsflüchtlinge im Norden Myanmars. Der Teilstaat Kachin wird wie andere Teile des Landes seit Jahrzehnten von bewaffneten Kämpfen gebeutelt. Der Konflikt vertrieb bisher geschätzte 120.000 Menschen.
Keine große Erwartung
Im Zentrum der Kämpfe stehen das Militär und die Rebellen. Das Misstrauen zwischen Minderheiten, Zentralregierung und Militär ist groß. Eine Friedenskonferenz, die den Weg für ein föderales System in dem Vielvölkerstaat ebnen soll, ist am Sonntag in der Hauptstadt Naypyitaw zu Ende gegangen.
Taung Ban Kai in Kachin hat nicht viel erwartet von der Konferenz. Damit ist sie nicht alleine. Chin Chin von der Minderheit der Chin nimmt seit 1996 an Friedensverhandlungen teil. "Wir haben seit 60 Jahren Krieg in Myanmar. Die Menschen sind erschöpft", erzählt sie, während im Hintergrund in der Kongresshalle in Naypyitaw landestypische Lieder dudeln, deren Parolen den Frieden preisen.
Drei Rebellengruppen haben nicht an der Friedenskonferenz teilgenommen. Chin Chin ist deshalb weit weniger begeistert als etwa UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der in seiner Eröffnungsrede von einem "historischen Treffen" spricht.
"Es ging erst einmal nur darum, die unterschiedlichen Gruppen zusammenzubringen, einander zuzuhören und Vertrauen aufzubauen", erklärt der politische Analyst Min Zin. Das sei erreicht worden.
Vier Tage lang trugen rund 1600 Delegierte von Militär, Regierung, politischen Parteien und bewaffneten Gruppen zehnminütige Stellungnahmen darüber vor, was sie sich vom Friedensprozess erhoffen. Für eine Reihe von Teilnehmern hatte das Treffen so sehr nur symbolischen Charakter, dass sie in den komfortablen Sitzen beim Nickerchen ertappt wurden. Echter Dialog wird erst noch stattfinden müssen. Die nächste Konferenz ist für März angesetzt.
Steiniger Weg
Es liegt noch ein weiter und steiniger Weg vor den Myanmaren. Das Militär will seine Macht nicht verlieren. Die regierende Nationale Liga für Demokratie (NLD) um Aung San Suu Kyi will das Wahlversprechen umsetzen, nämlich Frieden. Und die ethnischen Minderheiten wollen mehr Eigenständigkeit. Konkrete Lösungsansätze hat auch nach der Konferenz niemand.
Mit der Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren gerieten die Minderheiten in den Grenzgebieten Myanmars 1948 zum ersten Mal und mit großem Widerwillen unter burmesische Herrschaft. Seither bekämpft man sich mit Waffengewalt. Fast ein halbes Jahrhundert Diktatur des Militärs belastete die Beziehungen noch zusätzlich.
"Föderalismus" ist deshalb das große Zauberwort, das im Laufe des Friedensprozesses Gestalt annehmen muss. Wie kann der Ressourcenreichtum in den Minderheitenregionen geteilt werden? Wer bestimmt über den Sicherheitsapparat. Und in welcher Sprache dürfen Kinder dort in der Schule unterrichtet werden? Sollen die Regionen geographisch oder nach Ethnien aufgeteilt werden?
Zyniker sagen, dass es bisher ja nicht einmal mit der Demokratie in Myanmar richtig geklappt hätte. Trotz eines überwältigenden Wahlsieges der NLD kontrolliert nach wie vor das Militär ein Viertel aller Parlamentssitze und die Ministerien für Verteidigung, Grenz- und innere Angelegenheiten. Noch immer werden deshalb fast täglich Aktivisten eingesperrt. Der NLD sind in vielen Angelegenheiten die Hände gebunden.
Draußen im Dschungel interessiert niemanden der feine Zwirn, der zur Konferenz in Naypyitaw von den verschiedenen Ethnien, Generälen und Beobachtern aus aller Welt mit derselben Inbrunst vorgeführt wurde wie der Wille nach Frieden. Während in der Hauptstadt Armeechef Min Aung Hlaing bekräftigte, eine starke Union werden zu wollen, schossen seine Soldaten im Teilstaat Kachin einmal mehr auf die Rebellen der Minderheiten.