"Weissensee", Qualität und Erfolg
8. Mai 2018Am Tag, an dem in Cannes die Filmfestspiele begannen, startete in Deutschland die vierte Staffel der Serie "Weissensee". Cannes hat sich entschieden - im Gegensatz zu anderen Festivals - keine Serien zu zeigen. Dafür gibt es seit diesem Jahr in Cannes ein eigenes Serien-Festival. Wir nehmen den Start der vierten Staffel von "Weissensee" zum Anlass mit dem Regisseur der Serie zu sprechen.
Friedemann Fromm ist einer der versiertesten deutschen Film- und Fernsehregisseure mit einem besonderen Talent, deutsche Geschichte auf Leinwand und Mattscheibe zu bringen. "Weissensee" erzählt die Geschichte zweier Familien in Ost-Berlin seit dem Jahr 1980. Die vierte Staffel, die am 8. Mai in Deutschland startet, zeigt die Geschehnisse kurz nach dem Fall der Mauer.
Deutsche Welle: Wie stehen Sie grundsätzlich dazu, dass immer mehr Festivals auch Serien zeigen?
Friedemann Fromm: Ich finde es grundsätzlich toll, wenn Serien auf Festivals eine Öffentlichkeit kriegen. Die Problematik ist natürlich: Eine Serie ist ein Gesamtwerk und meistens werden auf Festivals ja nur die ersten Folgen gezeigt, was ich schwierig finde. Das ist so, als wenn ich von einem Kinospielfilm nur die erste halbe Stunde zeige. Eigentlich müsste man - da sind alle Festivals noch auf der Suche - die Chance bekommen, eine Serie richtig "atmen" zu lassen mit ihrem sehr viel größeren Bogen - aber wie soll das auf einem Festival gehen? Dieser Widerspruch ist noch nicht so wirklich gelöst.
Meine Serienerfahrung ist nicht selten die: Ich guck die ersten drei Folgen, die finde ich ganz toll und dann flacht das komplett ab, weil man merkt, dass den Leuten der Stoff ausgegangen ist. Oder auch andersrum: Eine Serie baut sich sehr flach auf und dann kriegt das ab der dritten oder vierten Folge eine große Wucht. Deshalb möchte ich den gesamten Bogen sehen, weil die Dramaturgie von Serien diese Zeit benötigt.
Was macht für Sie den Reiz des Serienmachens aus? Sie haben ja auch schon viele Spielfilme inszeniert!
Was ich faszinierend finde an Serien, ist, dass man auf eine ganz andere Weise in die Tiefe der Figuren gehen kann, dass man breiter erzählen kann. Für mich ist eine Serie vergleichbar mit dem Roman, wo ich ein Thema, eine Geschichte in einer sehr großen Tiefe und Vielschichtigkeit erzählen kann. Ein Film, der nach 120 Minuten längstens vorbei sein muss, kann das so nicht - da müssen bestimmte Konflikte und dramaturgische Linien einfach abgeschlossen werden. Diese Komplexität, auch die dramaturgischen Möglichkeiten, die sich in einer Serie bieten, finde ich faszinierend, wo ich ganz anders mit Zeitsprüngen, mit inhaltlichen Sprüngen, mit verschiedenen Ebenen experimentieren kann, ohne dass es gleich experimentell wird, sondern weil es der Geschichte dient.
Sie werden aber auch weiter Spielfilme inszenieren, worin liegt da der Reiz? Es ist ja auch Unsinn, das eine gegen das andere auszuspielen…
Der Reiz des Einzelfilms ist, dass man fokussierter auf eine Geschichte ist, Zeit und Raum sind begrenzter. Man ist - auch wenn das jetzt ein bisschen blöde klingt - früher zu Hause bei der Familie, ganz banal! Letztendlich ist ja Regie ein sehr familienfeindlicher Beruf. Wenn ich eine Serie mache, dann verpflichte ich mich über einen sehr langen Zeitraum einem Thema. Wenn ich Einzelfilme mache, dann kann ich mehr unterschiedliche Themen und Geschichten erzählen. Manchmal macht es auch einfach Spaß zu sagen, ich muss jetzt in einer bestimmten Zeit unter einem sehr hohen erzählerischen Druck eine Geschichte erzählen. Es ist wie Kurzgeschichte oder eine Novelle gegen einen Roman auszuspielen, beides hat was. Letzten Endes ist es doch so: Die Geschichte bestimmt die Form.
Es hat Serien immer schon gegeben, warum ist die Serie seit rund zehn Jahren so populär?
Wenn man heute vom Serienzeitalter spricht, dann meint man ja die horizontal erzählten Serien, das ist ja nicht "Lassie" oder "Flipper" oder "Bonanza", mit denen ich groß geworden bin, wo jede Folge eine neue Geschichte ist und die Figuren im Prinzip statisch sind. Wenn man heute vom Serienzeitalter spricht, sind das ja diese großen erzählerischen Bögen, wo Figuren, Geschichten, Konflikte über fünf, sechs, acht, zehn Folgen, also über eine ganze Staffel, gezogen werden - mit entsprechenden dramaturgischen Experimenten.
Das kommt im Moment noch mehr aus Amerika. Da hinken wir immer noch hinterher. Wenn ich nur eine Serie nehme wie "Damages", die ja gar nicht so neu ist: Ich bin immer noch fasziniert, wie die mit Zeitebenen umgegangen ist, mit einer Virtuosität wurde da auf verschiedenen Zeitebenen erzählt, um Spannung zu erzeugen, nicht um einfach kunstvoll zu sein. Die Kunst wurde benutzt, um eine Geschichte zu erzählen.
Was ist der Unterschied zwischen USA und Europa beim Serien-Erzählen?
In den USA hat sich die Serie wirklich zu einer Kunstform entwickelt - wenn ich mir zum Beispiel die dramaturgische Leistung von "Breaking Bad" angucke oder "Mad Men" oder "The Wire". So etwas gibt es bei uns in Deutschland leider in der Form noch nicht. Und die Frage ist, ob wir hier diesen großen Schritt wirklich ganz mitgehen - und ob auch das Publikum diesen großen Schritt wirklich mitgeht. Das ist ja noch nicht so ganz entschieden, weil diese Serien, die auf diese moderne Art und Weise erzählt werden, ja nicht die großen Zuschauerhits sind bei uns. Das sind immer noch Serien wie "In aller Freundschaft" oder "Sachsen-Klinik". Das sind ja andere Serienformate, als die, die man meint, wenn man vom Serienzeitalter spricht.
Woran könnte das liegen?
Wenn man sich mal anschaut, wieviele Leute hier "Breaking Bad" gesehen haben oder auch "House of Cards", dann muss man akzeptieren: Das sind nicht die großen Publikumsmagnete. Ich glaube, dass man ein Publikum ranführen muss an diese Art des Erzählens. Wenn man sich zum Beispiel die vier Staffeln von "Weissensee" anguckt, dann haben wir in der ersten Staffel eine große Handreichung an das Publikum gemacht, das eben aus diesen anderen Serienformaten kommt. Das fing schon beim Vorspann an, ein Signal. Die haben wir an die Hand genommen und reingeführt in eine hochkomplexe Dramaturgie, die im Verlauf der Staffeln immer anspruchsvoller wurde.
Es gibt kaum eine Serie, die so viele Erzählstränge hat wie "Weissensee". Das haben wir immer schon gemacht, von der ersten Staffel an. Aber wir haben den Leuten den Einstieg erleichtert. Ich glaube, das ist notwendig, man muss die Leute ranführen an diese Art zu erzählen. Die Form muss der Geschichte dienen und wenn die Geschichten toll sind, dann wird man die Leute ermuntern können, das zu schauen. Aber es ist nicht so, dass alle in Deutschland drauf warten auf diese tollen neuen Serien. Da ist noch nicht das große Massenpublikum.
Und es gelingt ja auch nur, wenn die einzelnen Handwerke zusammengreifen und qualitätsvoll sind wie in "Weissensee", wo die Schauspieler großartig sind, die Bücher, Kamera, auch die Regie…
Auf jeden Fall, es ist eine Qualitätsfrage der einzelnen Gewerke. Auf der anderen Seite muss man auch sagen - das ist zwar bitter, aber leider Fakt: Es gibt auch Formate, die nicht qualitätsvoll sind und trotzdem Erfolg haben. Dennoch glaube ich, dass es eine Voraussetzung für Serien dieser Qualität ist, dass man bei allen Gewerken auf ganz hohem Niveau unterwegs ist. Das wäre auch immer mein eigener Anspruch. Aber es ist keine Garantie für Erfolg. Ich glaube, dass es letztendlich immer über die Geschichte läuft, dass man es schaffen muss, dass die Leute das Gefühl haben, da wird etwas erzählt, was ihnen auf irgendeiner Ebene wirklich etwas bedeutet. Das ist ganz entscheidend, dass man da irgendwo was findet. Der Zugang ist letztendlich immer ein emotionaler.
Was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept, dass bei "Weissensee" schon drei Staffeln funktioniert haben, sodass jetzt auch eine vierte gedreht wurde?
Ich glaube, dass es wirklich eine sehr gute Mischung ist. Als wir angefangen haben, da haben viele gesagt: Wer will denn so eine Stasi-Serie sehen? Aber wir haben immer gesagt: Das ist keine Stasi-Serie, das ist eine Familienserie. Jeder hat doch Familie, jeder hat einen Vater, eine Mutter, vielleicht eine Schwester, einen Bruder, Neffen, Kinder. Diese Struktur ist jedem bekannt und auf dieser Struktur eine politische Geschichte zu erzählen, war von Anfang an ein sehr intelligenter Schachzug von Annette Hess, die ja die Grundidee für die Serie entworfen hat.
Ich fand das damals schon toll - die Aufgabe war dann aber, nicht ins rein Familiäre abzudriften. Man hätte das ja auch als Soap-Opera erzählen können, da gab es zu Beginn auch Wünsche von verschiedenen Beteiligten, die gesagt haben, die simple Liebesgeschichte hätte garantiert mehr Erfolg. Aber wir haben gesagt, wir erzählen eine politische Geschichte, weil, die Politik oder die Lebenswelt der DDR sind etwas, was unbedingt erzählt werden muss, denn sie sind im Westen nicht bekannt, betreffen aber uns alle, denn sie sind inzwischen gesamtdeutsche Geschichte.
Und "Weissensee" gibt Menschen, die aus der DDR kommen, die Möglichkeit, ihre eigene Geschichte wiederzufinden. Wir haben sehr darauf geachtet, dass wir da wirklich genau sind bei der Geschichtswiedergabe. Der Hauptgrund ist für mich allerdings, dass wir die Figuren wirklich ernst genommen haben - egal ob positive oder negative; keine Abziehbilder, keine Klischees.
Die vierte Staffel von "Weissensee" läuft seit 8. Mai im Ersten Deutschen Fernsehen mit sechs neuen Folgen.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.