"Fridays for Future" ins Parlament
6. April 2019Sie gehen auf die Straße, Freitag für Freitag, um fürs Klima zu kämpfen. Seit Monaten demonstrieren Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt für ihre Zukunft. An der Spitze steht die 16-jährige Greta Thunberg aus Schweden. Die Klimaschutzaktivistin hatte die "Fridays-for-Future"-Bewegung im August 2018 gestartet, als sie zum ersten Mal freitags vor dem Schwedischen Reichstag in Stockholm protestierte.
Ende des vergangenen Jahres kam die Bewegung auch in Deutschland ins Rollen. Die Jugend wollte sich Gehör verschaffen. Inzwischen macht sich bei einigen aber Frust breit: "Was mich stört, ist, dass wir jeden Freitag demonstrieren gehen und die Entscheidungsträger zeitgleich in die komplett andere Richtung laufen", sagt die Klimaaktivistin Tracy Osei-Tutu. Es habe sich wie ein Schlag in die Magengrube angefühlt, als die Kohlekommission ankündigte, der Ausstieg aus der Kohle solle erst 2038 abgeschlossen sein.
Petition für Kinderwahlrecht und Jugendrat
"Deshalb haben wir entschieden, mit unserem Protest in den Bundestag, das Zentrum der Entscheidung, zu ziehen", sagt die 20-jährige Politikstudentin. Mit einer Gruppe Jugendlicher hat sie sich sich im März in der Reichstagskuppel am Geländer festgekettet. Sie rollten Banner aus, auf denen "Fridays for Future" und "Jugendrat mit Zukunftsveto" zu lesen war. "Wir stehen heute hier, weil Kinder und Jugendliche endlich gleichwertiger Teil dieser Demokratie werden möchten", erklärte Osei-Tutu, die auch Sprecherin des Vereins "Demokratische Stimme der Jugend" ist, bei der Aktion.
Mit ihrem Verein setzt sie sich für mehr demokratisches Mitspracherecht für junge Menschen ein. "Wir wollen angebunden sein an die Bundespolitik", erklärt sie. "Die Ketten sollten zeigen, dass wir hier nicht wegwollen, dass wir dabei sein wollen." Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat sie nach der Protestaktion im Bundestag eine Petition gestartet, die inzwischen über 50.000 Unterschriften zählt. Darin fordert sie ein Kinderwahlrecht sowie einen Jugendrat auf Bundesebene.
Wahlrecht ab 16 in Österreich und auf Malta
"Wir stellen uns ein Gremium vor, das sich mit Zukunftsfragen befasst und die Interessen der Jugend vertritt", sagt Osei-Tutu. Die Mitglieder sollen zwischen 14 und 28 Jahre alt sein und per Losverfahren ermittelt werden. Der Jugendrat soll außerdem über ein Zukunftsveto verfügen, mit dem das Gremium Entscheidungen aktiv verhindern kann, die sich besonders auf die junge Generation auswirken. "Ich möchte, dass wir mitreden können, bevor wir den Doktortitel haben oder Berufspolitiker geworden sind", so Osei-Tutu.
Ein Jugendrat würde dem Deutschen Bundestag frischen Wind einhauchen, glaubt sie. Das Durchschnittsalter lag zu Beginn der Legislaturperiode bei 49,4 Jahren. Nur zwölf von insgesamt 709 Abgeordneten waren unter 30. Der demografische Wandel führt zudem dazu, dass auch die Wählerschaft in Deutschland immer älter wird. Jeder dritte Wahlberechtigte war zur Bundestagswahl 2017 über 60 Jahre alt. Immer öfter werden Forderungen laut, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. In Österreich ist das bereits vor zwölf Jahren geschehen, auch Malta hat 2018 als zweites EU-Land das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt.
Gleiche Kriterien für Jung und Alt?
"Es ist eine junge Generation herangewachsen", meint Demokratieforscher Wolfgang Gründinger, "die sagt: 'Wir möchten das Land umgestalten, wir sind mit dem Status quo nicht zufrieden, wir möchten nicht, dass alles so bleibt, wie es ist, und erst recht nicht, wie es früher einmal war'". Der 34-Jährige ist Sprecher der "Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen" und findet, dass Kinder und Jugendliche ihr Wahlrecht ausüben können sollten, sobald sie es möchten. "Im Grundgesetz heißt es in Artikel 20, Absatz 1: 'Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.' Auch Jugendliche gehören zum deutschen Volk", so Gründinger.
Kritiker aber sagen, dass Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leicht manipulierbar seien und in ihrer politischen Haltung nicht genügend gefestigt, um wählen zu gehen. Gründinger weist diese Argumente zurück: "Wir erwarten immer von jungen Menschen, dass sie gebildet sind, das Wahlrecht verstehen und die Wahlprogramme auswendig kennen. Von den Erwachsenen erwarten wir das nicht." Wenn Kriterien an die Wahlfähigkeit gestellt würden, müssten diese Kriterien auch für Erwachsene gelten, nicht nur für Kinder und Jugendliche.
Mündige Mitglieder der Gesellschaft
Für Tracy Osei-Tutu steht fest: "Politische Bildung kann nur funktionieren, wenn junge Menschen auch aktiv eingebunden werden und Verantwortung in die Hand bekommen." Sie wünsche sich, dass Kinder und Jugendliche als mündige Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen würden. "So wie vor hundert Jahren, als erkannt wurde, dass Frauen ebenso mündig sind wie Männer und das Recht haben, zur Wahl zu gehen." Im März mussten Polizisten die Ketten der Jugendlichen mit Bolzenschneidern öffnen. Freiwillig wollten sie sich nicht vom Bundestag trennen.