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Freude und Kritik nach Nuklearabkommen

Priya Esselborn, Kuldeep Kumar, Pushp Ranjan3. März 2006

In Indien wird das Atomabkommen mit den USA als Beleg der gewachsenen eigenen Bedeutung gesehen. In Pakistan stößt es auf Unverständnis.

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Bush bei einem Treffen mit Dorfbewohnerinnen in HyderabadBild: AP
Bush-Besuch in Indien
Ein Polizist schlägt einen Anti-Bush-Demonstranten in HyderabadBild: AP

Die indischen Zeitungen bejubeln am Freitag (3.3.) auf ihren Titelseiten das Nuklearabkommen, das der amerikanische Präsident George W. Bush und der indische Premierminister Manmohan Singh nach langem Tauziehen am Vortag) unter Dach und Fach gebracht hatten. Das Abkommen unterstreiche die gewachsene wirtschaftliche, politische und strategische Bedeutung Indiens für die USA, so die einhellige Meinung.

Die "Times of India" sieht das historische Abkommen als einen entscheidenden gemeinsamen Schritt beider Länder an, um "die Geschichte einer dornigen Beziehung hinter sich zu lassen und Beziehungen voll gegenseitigen Vertrauens zu beginnen". Der "Indian Express" schreibt, die Vereinbarung bringe Indien aus "einem fast 40 Jahre währenden Winter in den Frühling einer neuen nuklearen Weltordnung".

Umstrittenes Abkommen

Soweit die indische Wahrnehmung. Doch das Abkommen, das Indien nach jahrzehntelanger Isolation wegen seiner ersten Atomtests in den 1970-er Jahren Zugang zu westlicher Technik und Brennstoffen für seine Atomkraftwerke erlaubt, ist international umstritten.

Die großzügigen Zusagen, die der amerikanische Präsident George W. Bush bei seinem dreitägigen Besuch in Indien im Bereich der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit machte, gingen im Staunen über den indisch-amerikanischen Nukleardeal unter. Bereits im Juli 2005 hatten der indische Premierminister Manmohan Singh und Bush in Washington die Eckpfeiler des Abkommens ausgehandelt. Mit dem Abkommen verpflichtet sich Indien, sein militärisches und ziviles Atomprogramm zu trennen. Internationale Inspektoren dürfen künftig mehr Kernkraftwerke des südasiatischen Landes als bisher überprüfen. Die Schnellen Brüter, die atomwaffenfähiges Plutonium produzieren und von denen einige sich derzeit noch im Bau befinden, sind davon ausgeschlossen.

Wichtiger Etappensieg

Singh sprach von insgesamt 65 Prozent der Atomstromleistung, die er durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) kontrollieren lassen will. Im Gegenzug dazu bieten die USA Indien Nukleartechnik und Brennstoffe. Sie wollen sich zudem dafür einsetzen, dass Indien auch aus anderen Ländern Atomtechnik beziehen kann. Damit wäre, so betonen die Befürworter des Abkommens, der aufgrund eines durchschnittlichen Wirtschaftswachstums von 6-8 Prozent pro Jahr stetig steigende Energiebedarf Indiens mit seinen 1,1 Milliarden Einwohnern abgesichert.

"Das ist für die Inder sicherlich ein wichtiger Etappensieg, um sich auch langfristig international stärker zu positionieren", sagt Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Indien und Deutschland haben ja gemeinsam die Reform des Weltsicherheitsrats vorangetrieben. Die indische Forderung nach einem Sitz im Weltsicherheitsrat ist ja sehr alt und wird immer beständig vorgetragen. Vor allem auch die Anerkennung als Nuklearmacht, die mit dem Abkommen de facto erreicht ist, ist für die Inder sicher ein wichtiges Instrument, um ihre internationale Rolle aufzuwerten."

Unverständnis in Pakistan

Indien hatte 1974 erstmals Atomwaffen getestet. Deshalb stellten die USA und einige andere Staaten die zivile nukleare Zusammenarbeit mit dem Land ein. Nach erneuten Atomtests 1998 wurde der Boykott weltweit. Zudem ist Indien, das Schätzungen zufolge zwischen acht und 250 Atombomben besitzt, dem Atomwaffensperrvertrag nie beigetreten. Die USA schaffen mit dem nun geschlossenen Nuklearabkommen eine Art Präzedenzfall. Sie kündigen als erstes Land die weltweiten Sanktionen auf und erkennen Indien faktisch als legitime Atommacht an. Besonders beim ehemaligen Erzrivalen und Nachbarn Pakistan stößt dies auf Unverständnis.

"Ich glaube, dass das nun zwischen Indien und den USA geschlossene Nuklearabkommen den Atomwaffensperrvertrag extrem schwächen wird", sagt der Physiker Parwez Hud Bhai von der Quaid-i-Azam Universität in Islamabad. "Und zwar deshalb, weil Indien heimlich die Atombombe gebaut hat und die USA damals Sanktionen verhängt haben." Nach Indien werde möglicherweise irgendwann auch Pakistan als Atommacht anerkannt. "Daraus könnte vielleicht auch die Neigung entstehen, dass beide Länder ein erneutes Wettrüsten starten."

Kritik im Kongress

Parwez Hud Bhai hofft, dass das Abkommen nicht die noch ausstehende Zustimmung des US-Kongresses erhält. Denn auch in den USA hatten Kritiker bereits während der Verhandlungsphase bemängelt, dass damit auch für andere Staaten ein Anlass entstehen könnte, sich nicht mehr an die weltweit gültigen atomare Spielregeln zu halten.

Doch für Washington wird Indien wirtschaftlich, politisch und strategisch immer wichtiger. Zum einen ist Indien für die USA der am schnellsten wachsende Exportmarkt. Und: Die USA wollen Indien als ernsthaftes Gegengewicht zu China in der Region aufbauen. Dennoch dürfe sich Indien nicht von den USA für deren Zwecke instrumentalisieren lassen - auch nicht im Hinblick auf den geplanten Import von Gas aus dem Iran, urteilen die indischen Medien kritisch. Obwohl in vielen indischen Städten Zehntausende - vor allem politische Aktivisten muslimischer Prägung und Kommunisten - erbittert gegen den Besuch Bushs und die Politik der USA im Irak und Afghanistan protestierten, stehen die meisten Inder einer Annäherung an die USA positiv gegenüber.

Das indische Jahrhundert?

Der Anwalt Sharad Trivedi aus Neu Delhi sieht Indien und die USA sogar auf gleicher Augenhöhe. "Genauso wie den Amerikanern gesagt wurde, dass das 20. Jahrhundert das Jahrhundert Amerikas war, wird nun den Indern gesagt, dass das 21. Jahrhundert ihnen gehört. Das sagt die ganze Welt", sagt Trivedi. "Das wird Auswirkungen nicht nur auf Indien, sondern auch auf China und die gesamte Region haben. Deshalb ist es von extremer Wichtigkeit, dass die indisch-amerikanischen Beziehungen wachsen, in gewissen Bereichen neu entstehen und sich weiter entwickeln."

Mit der Zusage einer engen atomaren Kooperation vollzog US-Präsident Bush einen deutlichen Wechsel in den Beziehungen zu Indien. Dies wird auch durch das große weltweite Echo auf den Nukleardeal deutlich. Bush sagte, die Neuorientierung sei im Interesse "beider Völker" erforderlich geworden.