Freiwillig in Bulgarien? Er muss Spion sein
19. Januar 2016Deutsche Welle: Herr Troebst, wie viele Akten hat die kommunistische Staatssicherheit (DS) in Bulgarien über Sie geführt?
Stefan Troebst: Das Komitee für Staatssicherheit hat erstmals 1977 eine Akte über mich angelegt. Damals war ich Austauschstudent des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) an der Historischen Fakultät der Kliment-Ochridski-Universität Sofia. Die Akte, die 700 Seiten umfasst, wurde lückenlos bis zum Dezember 1989 geführt. Bis 1986 lautete die Vorgangsbezeichnung "Makedonec" ("Mazedonier") - wohl weil ich als Student der Geschichte und später als Historiker zu den makedonischen Organisationen in Bulgarien geforscht habe.
Die Überwachungsmaßnahme wurde im DS-Jargon mit "antibulgarischer Tätigkeit und antibulgarischen wissenschaftlichen und anderen Publikationen" begründet. 1986 wurde ich in eine höhere Gefahrenklasse eingestuft und der Vorgang "Bobăr" ("Biber") angelegt. Die DS hegte den Verdacht, ich sei Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und sollte in den türkisch besiedelten Regionen des Landes ein Agentennetz aufbauen. Seitdem wurde ich auf Schritt und Tritt überwacht. Bulgaren, mit denen ich Kontakt hatte, wurden vorgeladen, angeworben oder zu schriftlichen Stellungnahmen genötigt, die in der Akte enthalten sind.
Was genau steht in der Akte?
Die Akte enthält vor allem Berichte von Informellen Mitarbeitern der Staatssicherheit, mit denen ich persönlich bekannt oder befreundet war. So hat etwa mein Mitbewohner im Wohnheim im Auftrag der DS ein detailliertes Tagesprotokoll über mich geführt: über Gespräche mit ihm, über meine Besuche bei anderen Wohnheim-Bewohnern, über meine Lektüre... Ein Freund hat mich auf Drängen der DS zum Sommerurlaub in sein Ferienhaus eingeladen. Dieses wurde vorher mit seinem Wissen verwanzt, um unsere sämtlichen Gespräche abzuhören.
Andere DS-Informanten allerdings haben ihren Führungsoffizieren mitgeteilt, dass ich ihrem Eindruck nach ein ausschließlich wissenschaftliches Interesse an Bulgarien und seiner modernen Geschichte hätte und sie sich in ihrer Überwachungsrolle ausgesprochen unwohl fühlten.
Wie haben die Führungsoffiziere Sie eingeschätzt?
In der Akte enthalten sind ihre Einschätzungen über sinnvolle Strategien und Taktiken im weiteren Vorgehen gegen mich. Interessant dabei ist, dass diese Einschätzungen unterschiedlich ausfielen. Die einen waren der Ansicht, mein Beruf als Historiker sei lediglich eine Legende: In Wahrheit sei ich ein Agent - entweder der CIA oder des BND. Andere meinten hingegen, das sei unwahrscheinlich, da ich im gesamten Zeitraum 1977 bis 1989 ständig versuchte, Zugang zu bulgarischen Archiven zu bekommen und dabei nicht nur die bundesdeutsche Botschaft, sondern auch bulgarische Behördenvertreter und den internationalen Archivistenverband um Unterstützung gebeten habe.
Ein Profi-Spion, so diese Einschätzung, würde dergleichen nicht tun, sondern sich möglichst unauffällig verhalten. Erkennbar ist aber, dass die meisten DS-Offiziere an einer veritablen déformation professionelle litten. Der mehrere Jahre lang für meine Überwachung zuständige DS-Oberst Tzviatko Tzvetkov etwa ging schon deshalb von einem geheimdienstlichen Hintergrund meinerseits aus, weil er keine andere Erklärung dafür fand, dass ein bundesdeutscher Student freiwillig zum Studium in die Volksrepublik Bulgarien kommt: Der mußte seiner Meinung nach einfach ein Spion sein.
Das sagt einiges darüber aus, welche Attraktivität Geheimdienstler wie Tzvetkov dem eigenen Land im Vergleich zum "nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet" beimaßen.
Hat sich die bulgarische DS in Ihrer Sache auch mit der Stasi ausgetauscht?
In meiner bulgarischen Akte sind keine Hinweise auf die Kooperation der DS mit der Stasi in der DDR. Die habe ich allerdings in meiner ostdeutschen Stasi-Akte gefunden. Die Hauptverwaltung XX des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit hat mehrfach die DS gebeten festzustellen, ob ich mit bestimmten DDR-Bürgern in Bulgarien Kontakt hätte, sowie darum gebeten, einen eigenen IM in Marsch zu setzen, um über Treffen mit mir und Freunden aus Leipzig und Dresden zu berichten.
Diese Aufträge wurden zuverlässig erfüllt, wenn der zeitliche Vorlauf ausreichend war. Bei kurzfristigen Anfragen scheiterte das jedoch in der Regel, weil die Russisch-Kenntnisse der Berliner Stasi-Leute nicht ausreichten, um eine formgerechte Anfrage an Sofija zu formulieren. Bis diese übersetzt, der bulgarischen Botschaft übergeben und von dort mit Kurier in Sofia angelangt war, hatten Treffen zumeist schon ohne DS-Begleitung stattgefunden.
Stefan Troebst ist Professor für Kulturgeschichte des östlichen Europa, Ko-Direktor des Global and European Studies Institute (GESI) und stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig.
Das Gespräch führte Alexander Andreev.