Freie Liebe für alle - Die Kommune 1
7. August 2009Sie ist eine der ersten und zugleich die berühmteste Wohngemeinschaft Deutschlands: Die Kommune 1, kurz "K1", entsteht am 1. Januar 1967. "Wir haben diesen schönen Traum geträumt", sagt Gründungsmitglied Ulrich Enzensberger, "dass wir eine ganz andere Gesellschaft auf unseren 110 Quadratmetern Altbauwohnung gründen könnten."
Wie auch andere Kommunen wird die K1 zur Keimzelle der antiautoritären Bewegung in Deutschland. Man propagiert die Gleichberechtigung von Mann und Frau, gründet Kinderläden und freie Schulen. Die bürgerliche Kleinfamilie wird bekämpft und als repressiv-neurotischer Zwangsverband kritisiert. Die Eigentums-, Leistungs- und Konkurrenzvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft lehnen die Kommunarden ab. Vor allem aber demonstrieren die neun K1-Gründungsmitglieder gegen die Spießigkeit und moralische Heuchelei der Nachkriegszeit. Die K1 sei nicht direkt auf einem Polittrip gewesen, so Michael "Bommi" Baumann, der für kurze Zeit in der K1 gelebt hat. "Das fand ich interessant, weil da plötzlich eine andere Form von Leben war."
Vietnam oder Orgasmusprobleme
Es sind stürmische Zeiten zwischen Minirock, Pille und Afri-Cola-Rausch. Während Studentenbewegung und außerparlamentarische Opposition Ende der sechziger Jahre das politische Klima in der Bundesrepublik mitbestimmen, geht es der Kommune 1 um neue Lebensformen im Alltag und um eine freiere Sexualität. "Am Anfang stand der Gedanke der Revolutionierung des Privatleben", erzählt rückblickend K1-Gründer Dieter Kunzelmann. Was geht mich Vietnam an, solange ich Orgasmusschwierigkeiten habe, soll er damals gesagt haben. Was nach wildem Leben aussieht, ist oft dogmatisch: Die Kommunarden hängen die Klotüren aus, Briefe der Eltern werden verlesen, Telefongespräche laufen über einen Verstärker. "Wir wollten andere Menschen werden“, so Gründungsmitglied Rainer Langhans. "Wir wollten auf einer kleinen Insel im falschen Leben ein richtiges zu leben versuchen."
Öffentliche Aufmerksamkeit verschafft sich die Kommune 1 mit provokativen Happenings. "Wir waren oft in den Schlagzeilen und entwickelten uns zu einer richtigen Showgruppe", so die Ex-Kommunardin Antje Krüger. Dazu gehört auch jenes berühmte Foto: An eine Wand gelehnt stehen sieben junge Frauen, Männer und ein Kind. Sie sind nackt, von hinten fotografiert. Die Hände ausgestreckt an der Wand wie bei einer Polizei-Razzia.
Pudding mit explosivem Beigeschmack
Im April 1967 nimmt die Berliner Polizei einige Kommune-Mitglieder wegen des Verdachts fest, einen Anschlag auf US-Vizepräsident Hubert Humphrey vorzubereiten. Doch die vermeintlichen Bomben entpuppen sich als mit Pudding gefüllte Tüten. Die Berliner Obrigkeit ist blamiert. Aus ein paar Studenten werden über Nacht Popstars. Dazu passt auch Fotomodell Uschi Obermaier, die Langhans 1969 mitbringt. Die schöne, aber völlig unpolitische Kommunardin erobert die Titelseiten der Illustrierten und füllt die Haushaltskasse. Aber die Tage der K1 sind gezählt: Streitigkeiten innerhalb der Gruppe führen zum Auseinanderbrechen. Einige Mitglieder sind drogenabhängig. Im November 1969 überfällt eine Berliner Rockerbande die Kommune, verprügelt die Mitglieder und demoliert die Möbel. Die Kommune löst sich endgültig auf.
Aber was hat die Kommune 1 bewirkt? Sie ist eine "Kulturrevolution auf allen Ebenen" gewesen, so der Kabarettist Richard Rogler. Geschlechterrollen, Kindererziehung, Umgang mit Autoritäten, all das hat sich im Gefolge der Kommune 1 verändert. Und schließlich wird die Wohngemeinschaftsidee für eine ganze Generation junger Leute zum Vorbild – allerdings ohne die extremen Ansprüche der K1. Mit ihrer Extremität ist die Kommune 1 laut des Hamburger Politologen Wolfgang Kraushaar die Keimzelle der späteren Mordkommandos der Roten Armee Fraktion gewesen.
Autor: Michael Marek
Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen