Freie Hand für Maduro
21. November 2013Selbst der Erfinder des Modells kommt langsam ins Grübeln: Der deutsche Politologe Heinz Dieterich hatte sich den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ausgedacht, als politische Formel für den inzwischen verstorbenen venezolanischen Staatschef Hugo Chávez. Heute regiert Chávez' Erbe Nicolás Maduro in Caracas - und die Ölrepublik steckt tiefer in der Krise als jemals zuvor. Wenn es so weitergeht, sieht Dieterich nur zwei Möglichkeiten: "Dann wird ab 2014 das Militär regieren. Oder es gibt vorgezogene Wahlen, die die Bolivarische Bewegung verlieren wird." Und das könnte es dann gewesen sein mit dem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts".
Der überforderte Präsident
Unter diesem Experiment leidet die Bevölkerung Venezuelas immer mehr: Von Grundnahrungsmitteln bis zum Klopapier fehlt in dem Land so ziemlich alles, was das Alltagsleben im 21. Jahrhundert ausmacht. Die Inflation liegt inzwischen bei 54 Prozent, die Landeswährung Bolívar schwächelt, der Devisenschwarzmarkt blüht, die Ölindustrie, die 60 Prozent des Staatshaushaltes finanzieren muss, ist marode und ineffektiv. Nach zehn Jahren Preiskontrollen und einer Wirtschaftspolitik, die jede Form der privaten Produktion im Ansatz erstickt, droht das Land im Chaos zu versinken.
Dafür ist Präsident Maduro nicht alleine verantwortlich. Aber im Gegensatz zu seinem charismatischen Vorgänger Chávez ist Maduro in seinem Amt komplett überfordert. Schon in den ersten Wochen seiner Regierung blamierte er sich mit spirituell gefärbten Anekdoten über seinen politischen Ziehvater Chávez. Zuletzt hatte er beschlossen, Weihnachten vorzuzuziehen, ein "Vize-Ministerium für das höchste Glück des Volkes" zu gründen und eine Handelskette zu zwingen, ihre Preise für Elektrogeräte auf einen Schlag um 70 Prozent zu senken. Zumindest das machte ein paar Venezolaner für einige Tage ein bisschen glücklicher.
Durchregieren im "Wirtschaftskrieg"
Und weil Maduro weiß, dass dieses Glück nicht lange anhalten wird, hat er jetzt zu einem neuen Mittel gegriffen, um seine Macht zu sichern: Gerade einmal vier Paragraphen hat die Ley Habilitante, eine Art Ermächtigungsgesetz, mit dem Maduro die kommenden 12 Monate per Dekret und ohne Parlamentsbeteiligung regieren kann. Um die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament zu sichern, wurde kurzerhand eine Wackelkandidatin in den eigenen Reihen durch einen anderen Abgeordneten ersetzt - dem zur Sicherheit noch mit der Enteignung seines Unternehmens gedroht wurde, sollte er nicht für das Gesetz stimmen, heißt es aus Oppositionskreisen.
Aber nicht nur das Zustandekommen des Gesetzes trägt wenig demokratische Züge: Nicolás Maduro hat jetzt freie Hand im "Wirtschaftskrieg", den private Unternehmer mit Unterstützung durch "ausländische Mächte" angeblich gegen Venezuela führen: Der Präsident will Korruption und Spekulation bekämpfen und nicht nur seiner Ansicht nach "vernünftige" Löhne und Preise festlegen, sondern auch die Profite von Unternehmen beschneiden - alles natürlich nur zum Wohl und Glück des venezolanischen Volkes.
Geschenke zur Kommunalwahl
Doch Maduro will auch selbst von seinem Gesetz profitieren: Denn die populistischen Geschenke, die er in den nächsten Wochen verteilen wird, sollen sich Anfang Dezember schon auszahlen. Dann nämlich wählt Venezuela neue Gemeindeparlamente - der erste Test für den Staatschef nach seiner Wahl im vergangenen April. Die Rechnung kann sogar aufgehen, glaubt der Wirtschaftspsychologe Axel Capriles von der Universität Andrés Bello in Caracas: "Die venezolanische Gesellschaft ist sehr kurzsichtig. Sie lebt für den Moment und sieht nicht die Auswirkungen, die eine Wirtschaftsmaßnahme von heute im nächsten Monat haben kann."
Was macht das Militär?
Doch langfristig wird auch dieses Gesetz kaum in der Lage sein, Maduros Unvermögen zu verschleiern. "Das ist wie eine Traubenzucker-Injektion", meint der Politologe Edgard Gutiérrez. "Das wird in bestimmten Kreisen kurzfristig für ein besseres Gefühl sorgen. Aber das neue Übel wartet schon hinter der nächsten Ecke." Selbst überzeugte Chavisten murren inzwischen über die Politik ihres Staatschefs. Parlamentspräsident Diosdado Cabello gilt schon lange als interner Gegenspieler Maduros. Und im Gegensatz zu diesem hat Cabello einen guten Draht zu den Militärs. Die wiederum planen - glaubt man einem einflussreichen venezolanischen Blogger mit besten Beziehungen zur Armee - den von Maduro geduldeten und geförderten enormen Einfluss Kubas einzudämmen. Dazu soll in dieser Woche eigens ein hoher venezolanischer General nach Havanna zu Verhandlungen geflogen sein.
Gut möglich also, dass eine der beiden Prognosen des Politologen Dieterich bald venezolanische Wirklichkeit wird.