Berlinale feiert deutsche Regisseurinnen
2. Februar 2019"Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen" heißt die filmhistorische Retrospektive der 69. Berlinale (7.2.-17.2.2019). Gezeigt werden 26 Spiel- und Dokumentarfilme sowie rund 20 kurze und mittellange Filme aus der DDR, der Bundesrepublik und dem wiedervereinten Deutschland, die in den Jahren 1968 bis 1999 entstanden sind. Sie alle wurden von Frauen inszeniert.
Wer im Februar nicht nach Berlin reisen kann, um die Filme vor Ort im Kino zu sehen, der kann sich trösten. Eine Auswahl der Filme erscheint zeitgleich auf einer DVD, die zudem anschließt an zwei weitere DVD-Editionen mit Filmen der Jahre 1968 bis 1999. "German Films", das nationale Informations- und Beratungszentrum für die internationale Verbreitung deutscher Filme, hat außerdem dafür gesorgt, dass viele der nun wiederveröffentlichten Filme mit englischen Untertiteln versehen wurden, damit sie in Zukunft auch im Ausland gezeigt werden können.
Muss die Filmgeschichte nun umgeschrieben werden? Die Geschichte des "Neuen Deutschen Films", jener filmästhetischen Aufbruchbewegung des bundesdeutschen Kinos, die mit Namen wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog oder Wim Wenders verbunden ist und die weltweit für Aufsehen sorgte, ist vornehmlich eine Geschichte der Regisseure. Lediglich der Name Margarethe von Trotta stieß in das Bewusstsein einer größeren, filminteressierten Öffentlichkeit vor.
#MeToo gab einen Denkanstoß
Doch da waren noch mehr. Darauf machen nun die Berlinale-Retrospektive und gleichsam die DVD-Editionen aufmerksam. Sie schließen damit auch an eine neue Wahrnehmung von Frauen auf dem Regiestuhl an, die in jüngster Zeit vornehmlich durch zwei Entwicklungen befördert wurde: "#MeToo ist (…) von einer Protestbewegung gegen sexuelle Übergriffe zu einer Emanzipationsbewegung für die Sichtbarkeit von Frauen geworden", schrieb die Regisseurin Jutta Brückner kürzlich in einem Essay.
Die #MeToo-Bewegung gab den Anstoß. Die Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit in der Film- und Kinoszene setzte das fort: In allen Bereichen der Förderung und Produktion von Filmen tut sich etwas zugunsten von Regisseurinnen, Autorinnen und anderen weiblichen Filmschaffenden. Die Berlinale-Retrospektive ist in ihrer Konzeption schon vor #MeToo angedacht worden. Sie knüpft an die Berlinale-Retrospektive von 2015 "Deutschland '66" an. Doch passt sie nun perfekt ins Jahr 2019 und aktuelle Diskussionen.
1968 setze neues Denken frei - auch beim Film
Vermieden werden sollte ein einseitiger Blick auf die Filme von Frauen: "Mit dem Stichwort 'Frauenfilm' (…) wird häufig eine Haltung des Klagens oder Anklagens assoziiert. Dieser Ton findet sich in den Filmen dieser Retrospektive fast gar nicht", heißt es von Seiten der Auswahlkommission der Retrospektive.
Als zeitlichen Rahmen wählte man bewusst das Umbruchjahr 1968, was überraschenderweise auch für die DDR gilt: "Es mag eine Koinzidenz sein - aber 1968 ist in beiden Teilen Deutschlands so etwas wie der Startschuss dafür, dass Frauen eigene Themen behandeln und sich auf die Suche nach einer eigenen Filmsprache begeben."
Und wie sieht nun die thematische und ästhetische Vielfalt aus? In der Bundesrepublik entstanden Ende der 1960er Jahre Spielfilme wie "Zur Sache, Schätzchen" von May Spils und Ula Stöckls "Neun Leben hat die Katze". Ersterer ist eine verspielt-absurde Komödie mit viel München-Charme und einem enormen Unterhaltungspotential, der andere ist ein essayistisch angelegter Spielfilm über fünf Frauen, deren Geschichten von Emanzipation in einer männerdominierten Gesellschaft erzählen.
In diesen Jahren sowie im darauf folgenden Jahrzehnt wurden in Westdeutschland aber auch viele kürzere Filme von Frauen gedreht, in denen oft in dokumentarischer Form Lebens- und Arbeitswelten von Frauen sichtbar wurden, die heute auch einem aufgeklärten männlichen Zuschauer noch den Atem stocken lässt.
Frauenrechte im Fokus
"An meinen Filmen kann erkannt werden, was sich im Laufe der letzten 50 Jahre verändert hat", so Regisseurin Ula Stöckl: "Welche junge Frau weiß heute, dass man in den 1970er Jahren in Westdeutschland eine Erlaubnis vom Ehemann brauchte, um ein Konto zu eröffnen? Oder wie es war von einem Beruf ausgeschlossen zu sein, von dem gesagt wurde, er wäre nur von Männern zu bewältigen?"
Im anderen Teil Deutschlands war die Situation von Frauen, die im Filmgeschäft Fuß fassen wollten, noch prekärer. Die Defa, die staatliche Produktionsfirma der DDR, erlaubte es Frauen lange nur im Kinderfilmbereich zu arbeiten. Später entstanden auch dort kürzere Filmformate, die ihren Blick vor allem auf Alltag, Beruf und Erziehung richteten.
Dabei wurden überraschende Konstellationen sichtbar: "Die Männer handeln noch patriarchal dominant, die Frauen aber scheinen in den Filmen das Regiment übernommen zu haben", schreibt die Filmpublizistin Claudia Lenssen im Booklet der DVD, die jetzt zur Retrospektive erscheint.
Kein Geld mehr für "Frauenfilme"
Doch einige Regisseurinnen der DDR stießen schnell an Grenzen, bekamen Schwierigkeiten mit der staatlichen Zensur in der DDR und konnten keine Filme mehr drehen. Große Lücken in den Biografien taten sich allerdings auch bei vielen Filmemacherinnen in der Bundesrepublik auf. "Nach der Blütezeit dieser ersten Frauenfilmbewegung, die etwa 15 Jahre dauerte, bekamen die Filmemacherinnen keine Produktionsmittel mehr", schreibt die Regisseurin Jutta Brückner in einem Essay der Filmzeitschrift epd zur Berlinale-Retrospektive 2019.
Die Filmschau des Berliner Festivals umfasst drei Jahrzehnte des Filmschaffens von Frauen. Sie endet 1999, da lag der Fall der Mauer schon zehn Jahre zurück. Regisseurinnen wie Nina Grosse ("Der gläserne Himmel") und Katja von Garnier ("Bandits") wandten sich auch populären Genreformen zu - einem Kino, das die meisten nur von männlichen Regisseuren kannten. Von einer Gleichbehandlung in Sachen Produktionsförderung war man damals aber noch weit entfernt.
Berlinale-Retrospektive setzt ein Zeichen
Erst in jüngster Zeit, angeschoben durch die #MeToo- und die Pro-Quote-Debatte, ist das Bewusstsein für eine nachhaltige Gleichberechtigung innerhalb der Filmszene gestiegen. Die Berlinale setzt mit der Retrospektive "Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen" nun auch ein Zeichen. Umgeschrieben werden muss die deutsche Filmgeschichtsschreibung wohl nicht, aber es sind ein paar kräftige Korrekturen angebracht.
Zum Weiterschauen und Weiterlesen:
- Die DVD-Editionen "Wie haben Sie das gemacht? Filme von Frauen aus fünf Jahrzehnten" und "Selbstbestimmt" sind beim DVD-Anbieter "Absolut Medien" erschienen.
- Karin Herbst-Meßlinger, Rainer Rother (Hg.): Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen, Verlag Bertz + Fischer, 216 Seiten, ISBN: 978-3-86505-262-9
- Cornelia Klauß, Ralf Schenk (Hg.): Sie - Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme, Verlag Bertz + Fischer, 416 Seiten, ISBN 978-3-86505-415-9
- Claudia Lenssen (Hg.): Ula Stöckl (Film-Konzepte), 100 Seiten, ISBN 978-386916801