Frauen in Jordanien: Der lange Weg zur Gleichberechtigung
3. Juli 2022Würde sich das echte Leben immer nach dem richten, was in politischen Strategiepapieren steht, erhielten jordanische Frauen bereits in weniger als acht Jahren den gleichen Lohn wie Männer. Sie hätten die gleichen Arbeitsrechte und genössen die Vorteile einer gleichberechtigten Integration in den Arbeitsmarkt.
Genau das soll zumindest nach dem Willen der jordanischen Regierung passieren, die 2015 das Versprechen gegeben hatte, die Kluft zwischen den Geschlechtern bis 2030 zu schließen. Tatsächlich ist es bis dahin aber noch ein weiter Weg.
Zwar gehört Jordanien zu den Ländern mit den meisten weiblichen Hochschulabsolventen in der Region. Zugleich aber ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen eine der niedrigsten im gesamten Nahen Osten. Im Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums für das Jahr 2021 rangiert Jordanien weit unten auf Platz 131 von 156 Ländern.
Doch im Kleinen gewinnt die Überwindung der Geschlechterkluft in Jordanien durchaus an Dynamik. Der Schlüssel dazu könnten sozial ausgerichtete Kleinunternehmen sein.
Langsamer Fortschritt
Auch wenn es immer wieder Rückschritte und sogar erschreckend häufig Fälle von Gewalt gegen Frauen gibt: Immerhin auf politischer und juristischer Ebene geht es mit den Frauenrechten in Jordanien kontinuierlich voran. So wurde im Februar dieses Jahres der Begriff "Frauen" in die jordanische Verfassung aufgenommen. Zuvor waren dort nur "Jordanier" in grammatikalisch maskuliner Form genannt worden. Nun heißt es in der Verfassung ausdrücklich: "Der Staat verpflichtet sich, Frauen zu befähigen und zu unterstützen, damit sie eine wirksame Rolle beim Aufbau der Gesellschaft spielen können; zugleich verpflichtet er sich, Chancengleichheit zu gewährleisten und sie vor jeder Form von Gewalt und Diskriminierung zu schützen."
Im März wurde dann ein Gesetz über politische Parteien aktualisiert. Es besagt nun, dass mindestens zehn Prozent der Gründungsmitglieder einer Partei Frauen sein müssen. Ebenfalls zehn Prozent muss dabei übrigens auch der Anteil der zwischen 18 und 35 Jahren alten Personen betragen. Innerhalb der nächsten drei Jahre soll dieser Anteil sogar auf mindestens 20 Prozent erhöht werden.
"Die Verfassungsänderung und die Reform des Parteiengesetzes haben ein wenig mehr öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt", sagt Magdalena Kirchner, Leiterin des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman. "Das ist auch dringend notwendig."
Priorität sei jedoch, Frauen in der Realität auch ein Arbeitsumfeld zur Verfügung zu stellen, das frei von Gewalt und Belästigung ist, betont Majd Isleem, Mitwirkende an dem von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) herausgegebenem Bericht Gender Equality and Decent Work in Jordan 2022, im Gespräch mit der DW. Auch Gleichstellung der Geschlechter, Lohngleichheit sowie Mutter- und durchaus auch Vaterschaftsschutz seien dringliche Ziele.
Allerdings hat laut der letzten Umfrage des Arab Barometer vom März vergangenen Jahres die Corona-Pandemie das Leben der jordanischen Frauen zusätzlich zu den bestehenden strukturellen Problemen weiter erschwert.
Zahlreiche Herausforderungen
Zu den weiteren Herausforderungen zählen unter anderem ein für Frauen ungünstiges Erbrecht sowie die Dominanz männlich geprägter Erwartungen an das Rollenverhalten von Frauen. Es gehört zur Realität in Jordanien, dass viele Frauen zu Hause weiterhin nur Aufgaben als Ehefrau oder Mutter übernehmen, anstatt eine berufliche Laufbahn einzuschlagen, selbst wenn sie dafür ausgebildet worden sind.
Trotz des hohen Anteils an Hochschulabsolventen sind in Jordanien nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nur 14 Prozent der Frauen erwerbstätig. Das ist die niedrigste Quote in der Region überhaupt.
"Der Mangel an wirtschaftlicher Befähigung ist eines der Hindernisse für die Beteiligung von Frauen an öffentlichen Angelegenheiten", sagt Wafa Bani Mustafa, Jordaniens Justizministerin, gegenüber DW.
Um sich gegenseitig zu stärken, schließen sich immer mehr Frauen privat organisierten Projekten an. "Frauen sind in der jordanischen Zivilgesellschaft zunehmend vertreten, vor allem unter den städtischen Eliten", so Magdalena Kirchner von der Ebert-Stiftung in Amman. Dieses Engagement habe zu einer wachsenden Zahl von kleineren Sozialunternehmen geführt.
Soziale Unternehmen helfen
Die niederländische Unternehmerin Sandra Jelly zog vor 14 Jahren in die Wüste Wadi Rum. Dort hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihrer Firma 'Lumeyo - Bedouin by Design' die Rolle der Frauen zu stärken.
So bearbeiten rund 35 Beduinenfrauen Stoffe auf dem Bodenwebstuhl und fertigen Taschen, Teppiche und Sitzkissen von Hand.
Jelly sieht ihre Aufgabe darin, eine internationale Nachfrage für das beduinische Webhandwerk zu schaffen. "Die Frauen sollen in den ländlichen Gemeinden von zu Hause aus arbeiten und ihre Töchter beim Studium unterstützen können", sagt sie der DW.
Mei Hayashi leitet das ebenfalls auf die Belange von Frauen zugeschnittene Sozialunternehmen Tribalogy. Seit 2013 unterstützt sie geflüchtete Frauen sowie solche aus benachteiligten Gemeinschaften.
"Wir bieten Schulungen und Arbeitsplätze an, damit die Frauen Geld verdienen und sich selbst helfen können", sagt sie der DW. Das Unternehmen verkauft traditionell bestickte Produkte an Kunden aus der ganzen Welt. Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen zur Beseitigung der Geschlechterkluft im Land habe sie bislang allerdings nicht bemerkt, so Hayashi. "Ich kann nicht erkennen, dass der Vorstoß der Regierung mir hilft, denn das Konzept des sozialen Unternehmens wird hier immer noch nicht gefördert ", beklagt Hayashi im DW-Interview.
Möglicherweise könnte sich dies ändern, wenn diese Unternehmen mehr sichtbare Erfolge einfahren. Online und in den sozialen Medien nimmt ihre Präsenz bereits zu. Besonders beliebt sind die Plattformen Naua und Forsa, erwähnenswert ist auch die staatlich geförderte Plattform Impacthub.
Neuer Regierungsplan
Anfang Juni hat Jordaniens Regierung ihre "Vision der wirtschaftlichen Modernisierung" vorgestellt. "Die jordanische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die wirtschaftliche Beteiligung von Frauen in den nächsten zehn Jahren auf 37 Prozent zu erhöhen", so Justizministerin Wafa Bani Mustafa gegenüber DW. Die Regierung will in diesem Zusammenhang auch soziales Unternehmertum stärker fördern.
Bislang verzeichnet das Land offiziell nur eine als soziale Organisation registrierte Stiftung, die Jordan River Foundation - dort werden Frauen bereits jetzt gefördert. Die Stiftung erhielt Ende Mai sogar Besuch von Königin Rania, die als starke Befürworterin von Frauenrechten gilt. Sie habe ein "wundervolles Gespräch" mit den "faszinierenden Frauen" geführt, die dort arbeiteten, postete die jordanische Königin später auf Instagram. Und fügte hinzu. "Ich könnte nicht stolzer sein!"
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.